2010 geringste Zahl seit zwei Jahrzehnten - Jede dritte Ehe in Stuttgart geht in die Brüche.

Stuttgart - Knapp 1000 Hochzeiten weniger pro Jahr als noch in den Achtzigern werden in der Landeshauptstadt gefeiert. Längst nicht alle der mehr als 2000 jährlichen Eheschließungen dauern bis der Tod sie scheidet: Rund ein Drittel der Lebensbünde enden vor dem Familiengericht.

Einen wahren Hochzeitsboom hat die Landeshauptstadt im Jahre 1980 erlebt. Damals gaben sich 3056 Optimisten das Jawort. Das Jahr 2010 schnitt dagegen mit 2329 Eheschließungen weit schlechter ab. Auch im vergangenen Jahr dürften die Zahlen kaum steigen, haben bis Juli doch nur 1189 Paare geheiratet. Die Zahlen für die zweite Jahreshälfte liegen zwar noch nicht vor, aber angesichts der wirtschaftlich turbulenten Zeiten, die Familiengründern keine Aussicht auf eine gesicherte Zukunft bieten, dürfte die Zahl der Hochzeiten wohl nicht steigen.

Die Daten der Eheschließungen seit 1980 zeigen keinen einheitlichen Verlauf nach oben und unten. Sie steigen von 3056 im Jahre 1980 auf 3498 im Jahre 1985 und fallen dann auf den tiefsten Wert von 2198 anno 2007. Nach einem Sprung auf 2418 im Jahre 2009 sinken sie erneut. In der Krise durch die Finanzmärkte überlegen es sich Paare eben zweimal, ehe sie heiraten.

Weniger Scheidungen in Krisenzeiten?

Ausgehend von 963 Scheidungen im Jahre 1980 haben die Eheauflösungen in Stuttgart im Jahre 1983 mit 1423 ihren Zenit erreicht. Das Jahr 2010 ist mit 779 das Jahr mit den wenigsten Scheidungen seit rund zwei Jahrzehnten.

Scheiden tut nicht nur weh, es kostet auch Geld. Die krisenhaften Wirtschaftsverläufe mit immer mehr Menschen in ungesicherten und unterbezahlten Anstellungen dürften viele Ehegeschädigte derzeit noch dazu veranlassen, ihr Leben weiter an der Seite von Partnern zu verbringen, von denen sie sich in gesicherten Verhältnissen trennen würden. "Diese Überlegungen drängen sich auf, wir können sie aber nicht belegen. Fest steht dagegen: Wenn Leute zu uns kommen, weil sie überschuldet sind, ist die Scheidung einer der wichtigsten Gründe für die finanzielle Misere", sagt Wolfgang Schrankenmüller, Leiter der Zentralen Schuldnerberatung in Stuttgart.

Einer Binsenweisheit zufolge hängt die Zahl der Ehen auch mit der Geburtenrate zusammen, weil Kinder meist in gesicherten Verhältnissen gezeugt werden. Demzufolge nimmt mit der sinkenden Zahl von Eheschließungen in der Landeshauptstadt auch die jährliche Zahl der Neugeborenen ab, und zwar seit rund vier Jahrzehnten.

Erst Karriere, dann Familie

Zwischen 1972 und 2005 starben in der Landeshauptstadt mehr Menschen als Kinder das Licht der Welt erblickten. Erst 2006 gab es in Stuttgart wieder mehr Neugeborene als Verstorbene, und der Trend setzte sich fort: 2010 wurden 5807 Menschen geboren und 5515 ließen ihr Leben. Das ergibt einen Geburtenüberschuss von 292. Optimismus lässt sich daraus nicht ableiten. "Langfristig wird sich dieser Trend wegen der demografischen Rahmenbedingungen nicht fortsetzen", sagt Ansgar Schmitz-Veltin vom Statistischen Amt Stuttgart.

In Sachen Eheschließungen und Scheidungen liegt Stuttgart in einem landesweiten Trend. Im Jahr 2010 waren in Baden-Württemberg knapp 55 Prozent der Erwachsenen verheiratet. 1980 lag dagegen der Anteil der Verheirateten noch bei 75 Prozent. Statistiker machen dafür das gestiegene Heiratsalter und die stattliche Zahl von Scheidungen verantwortlich.

Das steigende Heiratsalter hängt damit zusammen, dass junge Menschen sich erst im Beruf etablieren wollen, um die Familiengründung auf eine wirtschaftliche Basis stellen zu können. Außerdem steigt der Anteil von hoch qualifizierten Frauen, die ihrer Ausbildung entsprechend Karriere machen wollen und sich erst relativ spät für Kind und Familie entscheiden. Der Anteil der Geschiedenen hat sich seit 1980 von rund drei auf etwa sieben Prozent verdoppelt. Bundesweit geht fast jede dritte Ehe in die Brüche.