An der Hochschule der Medien zeigen Studenten ihren Professoren, ob sie den Lernstoff verstanden haben – über ihre Handys Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

LeMon hilft Dozenten, ihre Vorlesungen an den Wissensstand von Studenten anzupassen. Mit dem neuen Programm beantworten Studenten Wiederholungsfragen auf dem Handy. Die Auswertung zeigt Professoren in Sekundenschnelle Wissenslücken an.

Stuttgart - Hochschule der Medien, Raum 108, Grundlagen der Informatik für 35 Erstsemester: Die Studenten starren auf ihren Bildschirm anstatt sich auf die Professorin vor ihnen zu konzentrieren. Für andere Hochschullehrer ein Albtraum. Für Barbara Dörsam dagegen pure Zufriedenheit. Ihre Idee, das Programm LeMon, scheint gut anzukommen.

Die neue App, eine Anwendung für das Smartphone, wird an der Hochschule der Medien in diesem Semester erstmals von rund 170 Studenten in zwei Vorlesungen von Dörsam genutzt. Am Anfang der Vorlesung scannen die Studenten mit ihren Smartphones einen QR-Code ein, den Dörsam an die Wand projiziert hat. Der Code führt die Studenten zu Wiederholungsfragen über den Stoff der letzten Vorlesungen. Sobald die jungen Leute die Fragen auf dem Handy beantwortet haben, wertet LeMon die Antworten in wenigen Sekunden aus. Eine Frage an diesem Nachmittag: „Welchen Wert hat die Variable i, nachdem der angegebene Codeabschnitt ausgeführt wurde?“ Zur Auswahl stehen 0, 4, 5 oder 6. Die richtige Antwort ist 5. Das wussten 12 Prozent der Studenten, zeigt das Programm auf Dörsams Laptop an.

Den Studenten bleiben Blamagen erspart

„Dadurch kann ich ganz schnell sehen, was die Studenten noch nicht verstanden haben“, sagt Dörsam, „und diese Themen in meiner aktuellen Vorlesung noch einmal erklären. Im letzten Semester habe ich oft meinen Vorlesungsplan über den Haufen geworfen, weil das Programm mir gezeigt hat, dass die Studenten noch nicht so weit sind.“

LeMon steht für „Lecture Monitoring“, auf Deutsch „Vorlesungsüberwachung“. Das Programm sei besonders in Vorlesungen mit großen Gruppen relevant, sagt Dörsam. „Bei über 100 Leuten könnte ich durch normales Abfragen nie in wenigen Minuten einen Überblick bekommen, wie viel jeder einzelne schon weiß.“ Mehr als zwei Drittel der Befragten einer Studie der Uni Regensburg verbinden die Digitalisierung der Gesellschaft mit Nachteilen, zum Beispiel mit permanentem Zeitdruck. LeMon dagegen zeigt, dass Technologie in wichtigen Situationen auch Zeit sparen kann.

Ein weiterer Effekt: Die App erspart Studenten das Risiko, sich mit einer falschen Antwort zu blamieren. „Wenn die Profs nur so fragen, ob noch etwas unklar war, meldet sich keiner“, sagt Chiara Chassé. Aber mit der App beantwortet auch die 18-Jährige an diesem Nachmittag die Wiederholungsfragen. Dank LeMon geht das nämlich anonym. In der Informatik-Vorlesung machen fast alle mit: 31 von 35 Studenten schicken ihre Antworten per Knopfdruck ab.

Von Harvard an die Hochschule der Medien

Die Grundidee stammt vom Harvard-Professor Eric Mazur. „Ich habe da etwas abgeschaut“, sagt Dörsam. Mazur setzt bereits seit Mitte der 1990er Jahre sogenannte Klicker ein, um während der Vorlesung Antworten von seinen Studenten zu sammeln – ein bisschen wie die Zuschauerfrage bei „Wer wird Millionär“. „Damit gehen aber nur Multiple Choice Fragen“, sagt Dörsam. Sie wollte ein komplexeres Programm. Mit LeMon kann die 46-Jährige auch Fragen stellen, zu denen Studenten die Antwort selbst formulieren müssen.

Programmiert wurde die Anwendung im Sommersemester 2014 von sechs Studenten der Hochschule . Trotz der größtenteils positiven Rückmeldung sehen Dörsams Studenten auch ein Manko. „In unserem großen Vorlesungssaal kann man den QR-Code nicht scannen, wenn man weit hinten sitzt“, sagt Daniel Rimland aus Singen. Und manche Exoten, gibt Dörsam selbst zu, besäßen immer noch kein Smartphone. „Insgesamt machen aber selbst im großen Hörsaal von rund 100 Studenten mindestens 50 Prozent mit“, sagt die Professorin.

LeMon am Eduard-Spranger-Gymnasium in Filderstadt im Test

Bleibt nur die Frage, ob andere Hochschullehrer ihre Arbeit ähnlich wie Dörsam als Dienstleistung an die Studenten verstehen – und überhaupt bereit dazu sind, sich an deren Wissensstand an zupassen. Aktuell nutzt erst ein anderer Dozent an der Dualen Hochschule in Horb das Programm. Das Eduard-Spranger-Gymnasium in Filderstadt plant, LeMon für den Schulunterricht einzuführen. „Weil man damit in alle Schülerköpfe auf einmal schauen kann“, sagt Physiklehrer Nicolas Wolf. „Das spart viel Zeit. Und eine Aufgabe mit dem Handy zu lösen, finden die Schüler spannend.“

An der Hochschule der Medien geht das Semester in diesen Tagen zu Ende. Für Dörsams Studenten steht die Informatik-Prüfung an. „Ich habe schon das Gefühl, dass ich für dieses Fach weniger wiederholen muss als für andere“, sagt Daniel Schäfer über den Effekt der App. Schade nur, dass er das Smartphone bei der Prüfung dann doch zu Hause lassen muss.