Das neue Gotteshaus wurde mit Dingen aus aller Welt dekoriert. Foto: Gottfried Stoppel

In Herdtlinsweiler wird eine Kapelle eingeweiht, für die es schon seit 273 Jahren eine Baugenehmigung gibt. Viele fleißige Hände haben geholfen, den Traum eines Mannes lebendig werden zu lassen, der das nicht mehr erleben kann.

Schwäbisch Gmünd - Wer die Himmelfahrtskapelle in Herdtlinsweiler besuchen möchte, der muss den Mondschein links liegen lassen. Am Donnerstag werden wieder viele Menschen an dem gleichnamigen Gasthof in Weiler in den Bergen vorbei hinauf bis nach Herdtlinsweiler pilgern – wie immer an Himmelfahrt. Dieses Mal werden es noch viel mehr Menschen sein, etwa 2000 werden erwartet. Doch erstmals endet der Zug an einer Kirche, der Himmelfahrtskapelle. 273 Jahre nachdem die Baugenehmigung für das Gotteshaus erteilt wurde, kann das Kirchlein nun eingeweiht werden. Zu verdanken ist das vielen fleißigen Handwerkern, die gearbeitet haben, ohne Rechnungen zu stellen, vielen emsigen Spendern, die Geld überwiesen haben. Zu verdanken ist das aber vor allem einem Mann, der nicht mehr erlebt, wie sein Traum in Erfüllung geht.

Der Mann, den alle nur „den Stephan“ nennen, hat die Kirche zusammen mit dem Architekten Christian Preiß entworfen. Der Stephan hat über viele Jahre ein Großteil des Interieurs in aller Welt zusammengesammelt. Das Porträt von Stephan thront über dem Kircheneingang, er ist umringt von Indianern, Cowboys, Schwarzafrikanern, Chinesen – von Menschen aller Kontinente. Der Stephan wäre begeistert. Aber er ist tot. Am 17. Dezember 2012 erlag Stephan Kirchenbauer-Arnold – Künstler, Musiker, Autor, Tausendsassa und Lebenspartner des Gmünder Oberbürgermeisters Richard Arnold – im Alter von 52 Jahren seinem Krebsleiden.

„Die Kirche gehört ins Dorf“, habe sein Partner immer gesagt, erinnert sich Richard Arnold. Der Mann, der Kirchenbauer hieß, wollte gerne ein Kirchenbauer werden. Mehr als 15 Jahre haben die beiden miteinander verbracht, intensive Jahre. Neun Jahre davon haben sie im weltläufigen Brüssel gelebt, wo der CDU-Politiker die baden-württembergische Landesvertretung leitete. Doch die letzten drei Jahre vor Kirchenbauers Tod, nach Arnolds Wahl zum Rathauschef seiner Heimatstadt Schwäbisch Gmünd, waren sie in Herdtlinsweiler daheim.

Der schwule Badener hat viele Herzen erobert

Viel gibt es dort nicht: 80 Einwohner, eine Bushaltestelle, die der Dorfverein gebaut hat, Kruzifixe vor den Höfen, einen Friseursalon und ein Hofcafé. Richard Arnold ist dort aufgewachsen. Stephan Kirchenbauer-Arnold hat mit der Zeit ebenfalls Wurzeln geschlagen – und wie. Der schwule Badener hat im katholisch geprägten Schwäbisch Gmünd die Herzen vieler Menschen erobert.

Im Liederkranz unten in Weiler sangen beide im Chor, Stephan Kirchenbauer-Arnold wurde künstlerischer Leiter. In dieser Zeit entstanden Inszenierungen wie der „Peter Parler von Gmünd“, ein Freilichtspiel über den in Gmünd geborenen Dombaumeister aus dem Mittelalter, der unter anderem in Prag die Karlsbrücke und den Veitsdom errichtet hat. Noch heute tritt der Chor mit Singspielen aus Kirchenbauers Feder auf.

Die Staufersaga wird fortgeschrieben

Vor allem aber ist Stephan Kirchenbauer-Arnold Autor der Staufersaga, jenes Mammutstücks, das er für die 850-Jahr-Feier in Schwäbisch Gmünd im Jahr 2012 geschrieben hatte. Mehr als 1300 Menschen haben monatelang an der Vorbereitung und Aufführung der sagenhaften Stadtgeschichte mitgewirkt, haben historische Kostüme geschneidert, Waffen geschmiedet, geschauspielert. Was als einmaliges Projekt geplant war, ist zur Dauereinrichtung geworden. Von 24. Juni bis 8. Juli wird die Staufersaga dieses Jahr wieder achtmal aufgeführt. Sämtliche Vorstellungen sind ausverkauft.

Bei der Vorbereitung auf die Premiere vor vier Jahren war der Autor und Regisseur bereits todkrank. Präsent ist er bis heute. Die Homepage des Liederkranzes etwa lädt einen nicht zuerst zum nächsten Konzert ein, auf der Startseite steht noch immer die Traueranzeige für den künstlerischen Leiter. Menschen ließen sich von ihm motivieren, antreiben, auch triezen. „Wenn der Stephan mit einem geredet hat, dann war man der wichtigste Mensch auf der ganzen Welt“, sagt Christine Zorniger.

Die Gmünder Schneiderin hat den Stephan bei der Staufersaga kennengelernt, sie gehört bis heute zu den Gewandmeisterinnen, die verantwortlich sind für die Kostüme. Zusammen mit einigen Freunden gründete Zorniger keine vier Monate nach Kirchenbauers Tod den Verein Kapelle in Herdtlinsweiler. Wiederum ein halbes Jahr später stand schon der Rohbau.

„Das ist eine Herzenssache“

Wie viel Spendengeld hat der Verein eingetrieben? Wie viel hat die Kirche denn nun gekostet? Die Fragen nach dem schnöden Mammon verstören Christine Zorniger. „Man kann das nicht mit normalen Maßstäben messen“, sagt die 56-Jährige. „Das ist eine Herzenssache“ – für alle Beteiligten, über den Tod hinaus.

Das Wandgemälde – inklusive des Kirchenbauer-Porträts über dem Eingang – hat Hans Kloss gemalt, der 2012 für sein mehr als 16 Meter breites und zweieinhalb Meter hohes Staufersaga-Panoramabild alle 1300 Mitwirkenden verewigt hat. Christine Zorniger erzählt von einem Neunjährigen, der sein Kommunionsgeld für den Bau der Kirche gegeben hat, „dem Stephan zuliebe“. Sie berichtet vom Fliesenleger, der zwei Wochen Urlaub genommen hat, um den Boden zu verlegen, unentgeltlich. Vom Flaschner, der mehr als 200 Stunden an dem Kupferdach gedengelt hat. Vom 81-jährigen Herdtlinsweiler Zimmermann, der den ganzen Sommer auf dem Dach herumgeklettert ist und die ganzen Holzarbeiten gemacht hat. Und vom Flüchtling, der fünf Euro gespendet hat.

Manche helfen, um dem Himmel Dank zu sagen

Christine Zorniger weiß aber auch von Handwerkern, die mit dem Bau des Gotteshauses dem Himmel sei Dank sagen wollten: Ein Dachdecker habe aus Dankbarkeit dafür, bisher ohne schweren Unfall durch sein Berufsleben gekommen zu sein, auf die Bezahlung verzichtet. Bei einem anderen Handwerker habe die Ehefrau eine schwere Krankheit überstanden.

Richard Arnold spricht von etwa 400 000 Euro, die man für das Kirchlein aufbringen hat müssen, aber genau weiß er es auch nicht. Er selbst hat das Grundstück gekauft, auf dem die Kapelle nun steht, direkt gegenüber von Arnolds Wohnhaus. Jahrelang stand darauf ein ausgebranntes Bauernhaus. Erst nach dem Tod seines Partners habe sich der Besitzer bereit erklärt zu verkaufen, sagt Arnold: „Eine Fügung.“ 55 000 Euro bezahlte er für das Grundstück, just jene Summe, die Kirchenbauers Lebensversicherung ausgezahlt hatte. „Für mich ist das Trauerarbeit“, sagt der 57-Jährige. „Es hilft mir, den langjährigen Wunsch meines Partners umzusetzen.“ Dass viele mithelfen, fasziniert ihn. „Es gehört mehr zu einem Dorf als eine Infrastruktur: Am Ende zählt der Mensch“, sagt er. Gemeinsame Projekte schaffen Gemeinschaft.

Mit dem Zusammenhalt ist es nicht immer so weit her gewesen in Herdtlinsweiler. 1999 hatte das Dorf noch keine Kanalisation, es wurden kaputte Autos abgestellt, alte Reifen lagen herum. Richard Arnolds Elternhaus drohte zu verfallen. Mit der Gründung des Dorfentwicklungsvereins änderte sich das. Der Verein baute einen Unterstand an der Bushaltestelle und einen Bolzplatz für die Kinder. Und Arnold und sein Partner beschlossen, das Elternhaus zu renovieren.

Die Menschen brauchen einen Platz zum Innehalten

Das Paar richtete das Arnold’sche Anwesen wieder her. Es ist ein schmuckes Häuschen geworden. Vom ersten Stock aus kann der OB aus Original Brüsseler Fenstergiebeln, die sein Partner in Belgien aufgetrieben hat, auf die Dorfstraße blicken. Und Stephan Kirchenbauer-Arnold brachte die Kirche wieder aufs Tapet, angetrieben von dem Gedanken, dass die Menschen im Ort einen Platz zum Innehalten bräuchten.

Schon am 22. November 1743 wandte sich der Gmünder Dekan Johann Sebastian Kolb „underthänig-gehorsambst“ an den Augsburger Generalvikar. „Die Gemeind von Herrliß-Weiler“ habe dem Allerhöchsten geschworen, eine Kapelle zu bauen, weil der Herrgott das Vieh vor einer damals grassierenden Rinderkrankheit bewahrt habe. Dieses Versprechen wolle die Gemeinde nun halten. Dreizehn Tage später schon kam die Baugenehmigung aus Augsburg. Erfüllt wurde das Versprechen nicht: Es fehlte an Geld und an Arbeitskräften.

Jetzt ist das Werk vollbracht: eine besondere Kirche, die Altes und Neues verbindet. Das Gotteshaus hat vier gotische Glasfenster aus Portugal und drei neue, von Diane Herzogin von Württemberg bemalte. Für die Künstlerin hatte Stephan Kirchenbauer-Arnold als Sekretär gearbeitet – und auf den Reisen mit ihr allerlei Kleinode gesammelt. Die Holzkassettendecke stammt von den Philippinen, eine Figurengruppe aus Spanien, der Eingangsbogen aus dem 16. Jahrhundert aus Trient. Eine Christus-Figur hatte früher vor einem Hof in Herdtlinsweiler gestanden, fand dann ein wettergeschütztes Asyl in der Kirche des Nachbarorts Weiler. Nun ist Jesus heimgekehrt.