Von Birkenpollen sind viele Allergiker geplagt Foto: photocrew - Fotolia

Wann ist eine Hyposensibilisierung sinnvoll? Wann besteht die Gefahr eines allergischen Schocks? Der Arzt Jörg Kleine-Tebbe erklärt, wie Heuschnupfengeplagten geholfen werden kann und spricht über Nutzen und Risiken von Therapien wie der Hyposensibilisierung.

Herr Kleine-Tebbe, ist die Hyposensibilisierung eine sinnvolle Therapie?
Die Immuntherapie mit den individuellen Allergenen ist die einzige Möglichkeit, den natürlichen Verlauf der Allergie zu beeinflussen – alle anderen antiallergischen Medikamente bekämpfen nur die Symptome.
Müssen diese Allergene gespritzt werden?
Auf jeden Fall werden dem Körper zur Hyposensibilisierung sehr hohe Dosen von Allergenen zugeführt. In der Vergangenheit war das nur durch Spritzen möglich, die zuerst wöchentlich, dann monatlich gegeben wurden. Und das über mindestens drei Jahre. Mittlerweile gibt es auch Kurzzeitverfahren, wo nur für einige Monate vor der Pollensaison das Präparat injiziert wird.
Es bleibt aber eine sehr aufwendige Therapie, weil man oft zum Arzt muss – gibt es keine Alternativen?
Es gibt mittlerweile auch Präparate, bei denen diese Allergenmengen täglich von den Patienten selbst eingenommen werden können. Einerseits sind das Tropfen, die unter die Zunge geträufelt werden, andererseits gibt es speziell für Gräser sogenannte Gräserpollentabletten. Auch sie werden unter die Zunge gelegt. Diese sublinguale Immuntherapie, abgekürzt mit SLIT bezeichnet, wird in Zukunft auch für andere Allergien eine Rolle spielen, beispielsweise zur Behandlung der Hausstaubmilbenallergie.
Ist sie genauso wirksam?
In Studien ist gezeigt worden, dass die Tabletten, wenn sie vier Monate vor der Saison gegeben werden, sehr überzeugend die Symptome der Gräserpollenallergie lindern und die Patienten deutlich weniger Medikamente einnehmen. Es gibt zwar keine Vergleichsstudien zur Injektion der Allergene, aber wir gehen davon aus, dass die Effektivität ähnlich ist. Wir wissen, dass nach dreijähriger SLIT-Therapie die Beschwerden für mindestens zwei Jahre ausbleiben. Das Ziel ist aber eine langfristige Besserung der Allergiebereitschaft – und dass es nicht zu Asthma kommt. Ob die sublinguale Therapie das leisten kann, können wir erst in ein paar Jahren beantworten, wenn entsprechende Untersuchungen ausgewertet worden sind.
Ist für die Injektionstherapie die Wirksamkeit nachgewiesen?
Ja, sicher. Immerhin gibt es diese Therapieform schon seit mehr als 100 Jahren. Allerdings ist die Dokumentation der Wirksamkeit und Sicherheit recht unterschiedlich. Die aktualisierte Leitlinie zur Immuntherapie wurde daher erstmalig mit zusätzlichen Online-Tabellen versehen. Sie listen die verfügbaren Präparate zur Hyposensibilisierung und die vorhandenen Studien auf – etwa nach modifizierten Kriterien der Welt-Allergie-Organisation (WAO). So kann sich jeder rasch einen Überblick zur aktuellen Datenlage verschaffen. Dort kann übrigens auch die gesamte Leitlinie heruntergeladen werden. Die Tabellen werden alle sechs Monate aktualisiert. Denn in den nächsten Jahren sind noch viele neue Studienergebnisse zu erwarten.
Bei welcher Therapie besteht aber die Gefahr eines allergischen Schocks?
Bei der subkutanen Therapie, abgekürzt SCIT, werden Spritzen unter die Haut in das Fettgewebe injiziert. In seltenen Fällen können unerwartet heftige allergische Reaktionen ausgelöst werden. Deshalb sollen die Patienten nach der Therapie eine halbe Stunde in der Praxis warten, damit der Arzt notfalls antiallergische Mittel geben kann.
Wenn man einen allergischen Schock erleidet, heißt das, dass die Allergen-Dosis zu hoch war?
Es kann sein, dass diese Allergene in die Blutbahn geraten oder durch vorherige Anstrengung die Empfindlichkeit erhöht ist, dann kann es zu heftigen, unerwünschten Nebenwirkungen kommen. Komplikationen gibt es bei der sublingualen Therapie sehr viel seltener als bei den Injektionen. Dort kommt es allerdings in den ersten zwei bis drei Wochen häufig zu lokalen Allergie-Beschwerden in der Mundhöhle, die nur kurzfristig auftreten – Juckreiz und manchmal eine Schwellung der Schleimhaut. Die SLIT ist aber sicherer als Injektionen.
Wann sollte man damit anfangen?
Es wird empfohlen, spätestens vier Monate vor der nächsten Saison anzufangen – die Gräserpollen fliegen ab Ende Mai, da hätte man im Januar noch einen guten Effekt erzielen können. Aber die Hyposensibilisierung – ob als Injektion oder sublingual verabreicht – bringt auch noch eine gewisse Linderung der Symptome, wenn Patienten während der Allergie-Saison mit der Therapie anfangen.
Ist es nicht gefährlich, wenn zu der Dosis aus der Hyposensibilisierung auch noch die Pollen aus der Natur kommen?
Nein. Die Tests sind vor allem deshalb gemacht worden, um die Sicherheit der Therapie zu demonstrieren. Offenbar ist es nicht von Nachteil, wenn man zusätzlich zu Medikamenten auch Pollen aus der Natur aufnimmt. Im Idealfall beginnt man mit der Therapie vor der Pollensaison, behält sie währenddessen bei und beendet sie danach. Oder man zieht sie über das ganze Jahr.

Eine Liste mit Präparten zur Hyposensibilisierung: www.dgaki.de/leitlinien/S2k-leitlinie-sit/.