Helmut Gottschalk will im Ruhestand joggen, Skat kloppen, reisen. Foto: factum/Granville

Helmut Gottschalk, der Vorstandssprecher der Volksbank Herrenberg-Nagold-Rottenburg, verabschiedet sich. Er blickt auf andere Zeiten zurück, als Baukredite noch 9,5 Prozent Zinsen verschlungen haben.

Herrenberg - Dass eine Bankenfusion religiöse Erleuchtung bewirkt, dürfte die rare Ausnahme bleiben. Im Jahr 2000 verschmolzen die Volksbanken von Herrenberg und Rottenburg. Seither besucht der Protestant Helmut Gottschalk regelmäßig den Bischofssitz Rottenburg und stellte fest, dass „der Kontakt zum Katholizismus mich sehr bereichert hat“. In seiner Kindheit sei den Buben eingebläut worden, dass sie um des Herrgotts Willen keine Katholische heiraten mögen, aber „die Zeiten haben sich geändert“, sagt Gottschalk.

Ein Gemälde von Karl Otto Götz

Er sitzt in seinem Büro an der Herrenberger Hindenburgstraße. Auf rund zwanzig Quadratmetern verteilen sich ein Schreib- und ein Besprechungstisch, in dessen Mitte ein behauener Stein steht. Ihn hat Gottschalk beim Herrenberger Bildhauersymposium gekauft. Zwei Gemälde hängen an den Wänden, eines von Karl Otto Götz. Es ist das wertvollste Kunstwerk, das die inzwischen zum Wortungetüm Herrenberg-Nagold-Rottenburg fusionierte Volksbank je gekauft hat. Alles andere hier hat den Charme des Praktischen. In solchen Büros schwatzen Handelsvertreter ihrer Kundschaft Unterschriften ab, aber Gottschalk ist der Chef hier.

Bevor die Zeiten sich wandelten, hätte man ihn Bankdirektor genannt. Heute ist er Sprecher des Vorstands einer Bank mit knapp vierhundert Mitarbeitern und 2,1 Milliarden Euro Jahresumsatz. Allerdings nicht mehr lang. In wenigen Tagen ende des Monats, geht er in den Ruhestand, nach 35 Jahren im Dienste des Genossenschaftsgedankens und selbstverständlich der Bilanz. 1982 wurde Gottschalk in den Vorstand bestellt, in dem Jahr, in dem die Volksbank ihren ersten Geldautomaten montieren ließ.

Hohe Beraterkunst

Was verbildlicht, wie die Zeiten sich in seiner Branche geändert haben. „Heute holen weit mehr als 90 Prozent der Kunden ihr Geld nicht an der Kasse, sondern am Automaten“, sagt Gottschalk. Hundert Prozent der Sparer bekommen keinen Zins mehr, und Banken zahlen für Einlagen Strafgebühr. Die Bilanz der Volksbank glänzte schon güldener, und „Kunden müssen sich im höheren Alter zum ersten Mal mit Aktienanlagen befassen, weil Anlagen auf Sparkonten keine Zinsen mehr bringen“, sagt Gottschalk. Bodenständige Schwaben zu überzeugen, dass ihr Geld an der Börse sicherer angelegt ist als in Bundesanleihen, gehört zur hohen Beraterkunst. Gottschalk selbst hat drei Viertel seines Ersparten in Aktien angelegt.

Die Kundschaft hat in den vergangenen Jahrzehnten ein anderer Wandel im Bankgeschäft mehr bewegt als die Zinspolitik oder die Entscheidung, Dorffilialen zu schließen. 1990 stellte die Volksbank den Handel mit Waren für Landwirte und Gärtner ein. „Dass sie kein Hühnerfutter und keinen Sack Nitrophoska blau mehr im örtlichen Warenlager kaufen konnten, haben die Menschen als echten Verlust empfunden“, sagt Helmut Gottschalk.

9,5 Prozent für den Baukredit

Als er 1979 mit dem Bau seines Eigenheims in Bad Liebenzell begann, zahlte er für seinen Kredit 9,5 Prozent Zins. Dass Immobilienkredite einmal für unter zwei Prozent zu bekommen sein würden, war undenkbar. Wertpapiere, deren Struktur nicht einmal Bankkaufleute ergründen können, waren noch nicht erfunden. Dass Bankvorstände sich mit Hausverwaltung beschäftigen würden, wäre Gottschalk 1982 auch nicht in den Sinn gekommen. Aber wenn klassische Geschäftsfelder sich zu Brachen wandeln, werden neue erschlossen. Die Immobilientochter der Volksbank verwaltet inzwischen für mehr als 2500 Kunden Häuser.

An seines wird Gottschalk bald selbst Hand anlegen. „Es steht eine umfassende Renovierung an“, sagt er. Für kleinere Heimwerkerarbeiten holt er Pinsel oder Rohrzange aus dem Keller. Er sieht in seinem Büro umher, als rätsle er, wie sehr er all dies vermissen wird. „Ich halte Bankvorstand für einen der attraktivsten Berufe, die es gibt“, sagt er. „Für mich war das wunderbar.“ Joggen will er im Ruhestand, Skat kloppen, wandern, reisen, sich um die Enkel kümmern, Zeit haben.

Seit langem eine Sechs-Tage-Woche

Seit 15 Jahren arbeitet er sechs Tage die Woche. Auf seinem Schreibtisch steht gleichsam sein Fenster zur Vergangenheit. Er ist auch Aufsichtsratsvorsitzender der DZ Bank (Deutsche Zentral-Genossenschaftsbank). Weil er diesen Posten noch ein Jahr behält, wird ihn sein Computer in den Ruhestand begleiten. Zwei Aktenordner geben eine Ahnung, wie oft der Ruheständler sich weiterhin mit Bankgeschäften beschäftigen wird. Es sind die Unterlagen für die nächste Aufsichtsratssitzung.

Den Stein vom Bildhauersymposium will er mitnehmen, es sei denn, sein Nachfolger möchte ihn. „Es ist der Stein des Weisen“, sagt er und richtet ihn in der Tischmitte aus. Allen, die künftig die Geschicke der Volksbank bestimmen, empfiehlt er Gelassenheit gegenüber dem Wandel der Zeit. Denn die Volksbanken, sagt er, „gibt es seit über 150 Jahren“.

Gründungszeit und Zusammenschlüsse

Geschichte 
Die Geschichte der verschmolzenen Volksbanken geht zurück bis zum Jahr 1865, in dem die Handwerkerbank Nagold und die Vorschussbank Herrenberg gegründet wurden. Die Vorschuss- und Kreditbank Rottenburg folgte vier Jahre später. Eine ganze Reihe von Fusionen erfolgte 1972. Damals schlossen sich zwölf Raiffeisenbanken mit der Volksbank Herrenberg zusammen. 1984 wurde die erste Tochtergesellschaft ausgegliedert, die Gäu Neckar GmbH.

Fusionen:
Die heutige Volksbank Herrenberg-Nagold-Rottenburg ist das Ergebnis einer Vielzahl von Fusionen und auch Namenswechseln. Zeitweise trug die Herrenberger Volksbank den Beinamen Bank im Gäu. Auch in der Volksbank Nagoldtal gingen mehrere kleinere Kreditinstitute auf. Die Banken in Herrenberg und Rottenburg verschmolzen im Jahr 2000. 14 Jahre später kam die Volksbank Nagoldtal hinzu.