In der Kriegsbergstraße 40 werden Heroinabhängige behandelt Foto: Leif Piechowski

Nach langem Anlauf und ein halbes Jahr später als geplant können Abhängige von diesem Sommer an in Stuttgart mit Diamorphin therapiert werden. Die Praxis ist bundesweit die zweite ihrer Art. Am 21. Juli öffnet das Haus in der Kriegsberg­straße 40.

Stuttgart - In der Kriegsbergstraße 40 ist endlich Leben eingekehrt. Stuttgart bekommt dort eine Modell-Praxis, in der pharmakologisch hergestelltes Heroin als Ersatz für das Opiat ausgegeben wird. Neben einer entsprechenden Praxis in Berlin ist dies bundesweit die zweite ihrer Art.

„Ich habe am vergangenen Mittwoch die Betriebserlaubnis bekommen“, sagt Dr. Andreas Zsolnai. Der Stuttgarter Suchtmediziner hat daraufhin seine Bestellung für Diamorphin, dem Heroin-Ersatz, aufgegeben. „Mitte Juli können wir mit der Ausgabe starten.“

Die Mieter – der Psychotherapeut und Suchtmediziner Zsolnai sowie der Verein Release, der die psychosoziale Betreuung der Klienten unterstützt –, sind auf eine harte Probe gestellt worden. Der Bundestag hatte den Weg zur Diamorphin-Behandlung zwar bereits im Mai 2009 durch Gesetzesänderung frei gemacht, 2011 sollte in Stuttgart mit der Therapie begonnen werden. Dann sorgte auf Bundesebene ein Streit um die Behandlungskosten, die von den Krankenkassen getragen und von den Kommunen gegebenenfalls bezuschusst werden, für Verzögerungen. Der Gemeinderat sagte die Finanzierung der Praxis Ende 2011 zu und sprach sich nach kontroversen Diskussionen für den Standort in der städtischen Immobilie Kriegsbergstraße 40, in der Nachbarschaft zum Katharinenhospital, aus. 2014 sollte das Haus bezugsfertig sein, doch ein Wasserschaden verzögerte die Bauarbeiten, die Kosten stiegen von geplanten 2,2 Millionen auf 2,5 Millionen Euro.

Künftig ist die Substitutionspraxis 365 Tage im Jahr geöffnet. Die zwölf Mitarbeiter geben mehrmals täglich Diamorphin und Methadon aus. Das bringt Zsolnais Praxis in der Bismarckstraße die ersehnte Entlastung. „Wir konnten wegen der räumlichen Enge keine neuen Patienten mehr aufnehmen. Wenn sich aber ein 20-jähriges Mädchen prostituiert, um seine Sucht zu finanzieren, ist es ein ethisches Problem, ,Nein‘ zu sagen“, so Zsolnai.

In die Kriegsbergstraße hat er 70 Patienten mitgenommen und kann 20 Plätze zusätzlich bieten. Die stabileren Suchtpatienten, für die ein Ausstieg aus der Sucht und der Szene möglich scheint, werden weiterhin in der Bismarckstraße behandelt. Für die Diamorphin-Substitution ist die Praxis in der Kriegsbergstraße zuständig.

Der Bedarf einer solchen Einrichtung ist durch die Ergebnisse der Heroinstudie untermauert worden, die von 2002 bis 2006 bundesweit die Effekte der Behandlung mit Heroin untersucht hat. Das Ergebnis: Die Hälfte der Teilnehmer konnte sich nach einem Jahr von der Drogenszene lösen, die Kriminalitätsrate sank, bei 80 Prozent der Probanten verbesserte sich der Gesundheitszustand signifikant. Alle Werte waren deutlich besser als bei der Vergleichsgruppe der Klienten, die Methadon nahmen.

Die Zugangsvoraussetzungen für die Diamorphin-Therapie sind streng: Ein Patient muss seit mindestens fünf Jahren von Opiaten wie Heroin abhängig sein; er muss zwei Behandlungen erfolglos abgebrochen haben sowie 23 Jahre oder älter sein.

Von den rund 1800 Konsumenten harter Drogen in Stuttgart werden bereits rund 850 substituiert, das heißt, sie erhalten Ersatzstoffe wie Methadon. Von ihnen erfüllen 150 formal die Voraussetzungen für das Diamorphin-Programm. 40 Männer und Frauen haben bisher erklärt, dass sie Interesse daran hätten, bis zu 50 kann Zsolnai behandeln.

Die Erlaubnis dazu hängt von der Behandlung der Patienten durch geeignetes Fachpersonal sowie vom Sicherheitskonzept der Praxis ab. Deshalb waren sowohl das Polizeipräsidium Stuttgart als auch das Landeskriminalamt in die Planungen der Sicherheitszonen eingebunden, die das Land mit 150 000 Euro finanziert hat. Darüber hinaus darf der Suchtmediziner die Diamorphinvorräte nur längstens zwei Monate lagern, wodurch große Bestände im Tresor vermieden werden sollen.

Insgesamt sinkt laut Dr. Andreas Zsolnai die Zahl der Heroinabhängigen. „Heroin ist eben kaum zu bekommen, weshalb die Leute stattdessen Morphiumpräparate nehmen.“ Auch auf die von synthetischen Drogen wie Koks Abhängigen sei die Praxis eingestellt, behandle sie mit Psychopharmaka und, in Kooperation mit dem Klinikum, in der psychiatrischen Institutsambulanz im gleichen Haus. Am 21. Juli wird das Haus offiziell seiner Bestimmung übergeben, am 25. Juli ist ein Tag der offenen Tür geplant.