Maike Richter-Kohl, hier auf einem Archivbild von 2006, hat nach eigenen Worten die „alleinige Entscheidungsbefugnis über den historischen Nachlass“. Foto: AP

Wer bekommt die Akten und Tonbänder? Der Umgang mit dem Nachlass Helmut Kohls ist noch nicht konkret geklärt.

Berlin - Ihr Menschenbild, so sagte Maike Kohl-Richter vor drei Jahren in einem Interview, habe sich in den vergangenen Jahren dramatisch verändert. „Ich bin misstrauischer geworden“, befand die zweite Ehefrau von Altbundeskanzler Helmut Kohl. Ihre Kritiker dürften über diesen Satz bitter gelacht haben. Nicht wenige ehemalige Weggefährten des Altkanzlers hatten in den vergangenen Jahren kritisch die Art und Weise beschrieben, wie Kohl-Richter seit der Hochzeit darüber bestimmt hatte, wer Zugang zu ihrem Mann bekam und wer nicht.

In der Öffentlichkeit war das Bild eines nach seinem Unfall 2008 kranken, hilfsbedürftigen Mannes entstanden, der sich kaum selbst artikulieren konnte und hinter den Mauern des Oggersheimer Bungalows zunehmend verschwand. Wie viel von dem, was man über Helmut Kohl in den vergangenen Jahren erfuhr, wirklich von Helmut Kohl kam, kann keiner beurteilen.

400 Aktenordner lagern im Keller

Dabei geht es nicht allein um die Privatperson Helmut Kohl – es geht um sein Vermächtnis als Bundeskanzler, um Geschichtsschreibung und Forschung, also um ein Stück bundesdeutscher Geschichte. Wie ungeklärt die Situation ist, wie offensichtlich sich Experten darum sorgen, was aus Akten im Privatbesitz der Witwe wird, davon zeugt ein eilends verfasster Brief des Präsidenten des Bundesarchivs, Michael Hollmann, an Maike Kohl-Richter. In diesem Schreiben bot Hollmann seine Unterstützung bei der Regelung des schriftlichen Nachlasses an und erklärte, er wäre der Witwe verbunden, wenn sie staatliches Schriftgut an das Bundesarchiv weiterleiten würde. Im Umfeld der Witwe empfand man die Eile als pietätlos. Aber in Oggersheim, im Keller des schachteligen Flachbaus, lagert ein Schatz. 400 Aktenordner mit Unterlagen hatte Helmut Kohl nach seiner Abwahl im Jahr 1998 aus dem Kanzleramt geholt – und direkt ins Archiv der Konrad-Adenauer-Stiftung bringen lassen. Diese sogenannten Handakten jedoch wurden im Jahr 2010 von Kohl wieder zurückgefordert. Er brauche das Material, um seine Memoiren zu verfassen, so die Begründung. Seitdem liegen die Unterlagen im Keller in Oggersheim – Kanzlerreden, handredigierte Entwürfe, der umfangreiche Briefwechsel mit Franz Josef Strauß sollen darunter sein. „Der Spiegel“ berichtete vor Jahren, Kohl lasse sich immer mal wieder etwas daraus vorlesen.

Es gibt noch ein weiteres Vermächtnis Kohls – 200 Tonbänder, die er vor 15 Jahren in 105 Sitzungen mit dem Auftragsbiografen Heribert Schwan besprochen hatte. Es handelt sich, das weiß die Öffentlichkeit inzwischen, um offene, teils brisante Zwiegespräche, die der Autor für die Biografie führte. Schwan ist einer der Menschen, mit denen es in den Jahren nach Kohls Unfall zum Bruch kam – nach Schwans Darstellung durch Maike Kohl-Richter. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits drei Bände der Memoiren geschrieben. 2014 veröffentliche Schwan dann auf eigene Kappe ein unautorisiertes Buch, in dem er aus den Tonbändern zitiert – um dieses Buch, „Das Vermächtnis. Die Kohl-Protokolle“ ,tobt seitdem ein Rechtsstreit. Kohl hatte erfolgreich auf Herausgabe der Bänder geklagt und erst im April, kurz vor seinem Tode, eine Rekordschadenersatzsumme von einer Million Euro erstritten. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Was im Einzelnen mit den Bändern und den Akten geschieht, was als Privatbesitz betrachtet wird und was als öffentlich, ist im Moment unklar.

Der Anwalt der Witwe und Freund Kohls, Stephan Holthoff-Pförtner, hat allerdings in der vergangenen Woche deutlich gemacht, dass eine Stiftung für den Nachlass gegründet werden soll. Die Witwe vertrete die Auffassung, dass der Nachlass in die Hände von Historikern gehöre. Wie genau dieser Prozess gestaltet werde, sei nicht klar, sagte der Anwalt dem Magazin „Focus“. Die „alleinige Entscheidungsbefugnis über den historischen Nachlass“ liegt nach Angaben Maike Kohl-Richters bei ihr. Dies habe Helmut Kohl schon lange vor seinem Unfall – und damit auch vor der Eheschließung – entschieden, sagte Kohl-Richter im Jahr 2014 in einem Interview mit dem Kohl-Vertrauten und Trauzeugen Kai Diekmann, das in der „Welt am Sonntag“ erschien.

2014 gab Maike Kohl-Richter ein offizielles Interview

In dem Interview artikulierte Maike Kohl-Richter in mehreren Passagen die Sorge vor einer falschen historischen Einordnung von Kohls Lebenswerk und seinem „Bild in der Geschichte“. Sie gab auch eine eigene Einschätzung: „Wenn Sie sich die Geschichte der Bundesrepublik ansehen, dann bleiben am Ende zwei große Bundeskanzler“, sagte sie zum Beispiel. „Das sind Konrad Adenauer und Helmut Kohl.“ Sie machte aber auch deutlich, dass sie sich nicht in der Lage sieht, den Nachlass alleine zu verwalten. Die Akten in Oggersheim bezeichnet sie im Vergleich zu der Fülle von öffentlichen Dokumenten und Materialien als Marginalie.

Sehen Sie in unserer Bildergalerie Fotos von der Trauerfeier für Helmut Kohl.