Foto: Welzhofer

Die Sicherheitsleute am Flughafen Tel Aviv sahen mir wohl an, dass ich nur viele Andenken und noch mehr neue Ein- und Ausdrücke im Gepäck hatte – und ließen mich weder den großen roten, noch den kleinen braunen Koffer öffnen.

Ich hatte mich am Flughafen schon all die Dinge aus dem Koffer auspacken sehen, die ich mit Mühe hinein gequetscht hatte: Die dreckige Wäsche und die neue Strickjacke mit den Kirschen drauf. Die Ohrringe aus dem Suq von Jerusalem und die Hebräisch-Bücher. Die Schokolade für die Kollegen und Orlis Rezepte für Humus und Malabi. Den Armreif aus Mangobaumholz und das T-Shirt mit dem Bauhaus-Motiv. Doch die Sicherheitsleute am Flughafen Tel Aviv sahen mir wohl an, dass ich nur viele Andenken und noch mehr neue Ein- und Ausdrücke im Gepäck hatte – und ließen mich weder den großen roten, noch den kleinen braunen Koffer öffnen. Vielleicht entging ich auch einfach nur der Zufallsauswahl, in jedem Fall war die Ausreise viel leichter als die Einreise – zumindest unter Sicherheitsaspekten.

Seit ein paar Tagen bin ich jetzt schon zurück in Stuttgart. Der Himmel ist beharrlich grau und die Stadt wirkt alt im Vergleich zum gerade mal 103-jährigen Tel Aviv, das vor allem von Menschen unter 40 bevölkert wird. An vielen Ecken blinkt noch die Weihnachtsdekoration, auf den Straßen liegen ein paar Reste der Silvesterraketen zwischen den braunen Blättern. Ich esse Kartoffelsuppe, lese in der Zeitung, dass das aufregendste Thema derzeit offenbar Wolfgang Thierses Schwaben-Schelte ist, und fühle mich sofort wieder Zuhause.

Nach zwei Monaten zurückzukommen fühlt sich an, als habe jemand die Vorspultaste gedrückt. Während ich anderswo war und einen anderen Alltag gelebt habe, ging das Leben hier einfach weiter. Und plötzlich hat Fritz Kuhn schon den Rathaussessel übernommen (War die Wahl nicht erst gestern?), sind die Bäume vor dem Fenster kahl (Waren sie nicht gestern noch gelb-orange?), ist die liebe Kollegin schon nicht mehr da (Hatte sie nicht gestern erst gekündigt?). Und zur gleichen Zeit ist das Leben in dem anderen Land schon wieder Vergangenheit und entfernt sich mit jeder Ladung gebrauchter Wäsche, die ich in die Maschine stopfe, ein bisschen mehr.

Zeit also für ein Resümee, bevor ich gänzlich in der Gegenwart angekommen bin. Ich klicke 35 Blogeinträge zurück und lese im Allerersten noch einmal die Liste der Dinge, die ich in Israel tun wollte:

...jedes einzelne der 4000 Bauhaus-Häuser sehen, die in Tel Aviv wie weiße Ozeandampfer zwischen den grünen Bäumen liegen.

...das Rezept der besten Falafel und des besten Humus finden.

… unter Tel Avivs Oberfläche blicken und Jerusalems Schwermut deuten.

...verstehen, warum man nur in Israel Pazifist und stolzer Schwiegervater eines Kampfpiloten zugleich sein kann.

...eines der Massensingen besuchen, bei dem hunderte Israelis zusammen Volkslieder schmettern.

...das Jesuskind fragen, was es denn von der Mauer hält, mit der die Israelis seinen Geburtsort Bethlehem von sich abschotten.

...mit Ora, der Hauptfigur aus David Grossmans „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“, auf dem Israel-Pfad wandern.

...im Café Tamar in Tel Aviv die alten Intellektuellen belauschen und einen Bagel mit Käse essen.

…den muslimischen Schlüsselwächter der christlichen Grabeskirche treffen.

…versuchen, auf dem See Genezareth übers Wasser zu gehen – oder zumindest meine Füße reinzustecken.

… Hebräisch lernen.

…hinter die spitzgiebligen Biedermeierfassaden der radikalen Siedler gucken.

...im Kibbuz nach den Resten einer Vision suchen.

…Wein von den Golanhöhen trinken.

Vieles davon habe ich tatsächlich gemacht: Ich habe mit Orli Ziv Humus gekocht und eingesehen, dass man Falafel besser an einem der Stände im Carmel-Markt isst, als sie selbst zu brutzeln. Ich habe im Café Tamar gelernt, dass es in Israel - außer Daniel Barenboim – noch mindestens einen großen Wagner-Fan gibt - und ja, ich habe ausreichend Wein von den Golanhöhen getrunken und Goldstar-Bier auch. Ich habe in der Jerusalemer Grabeskirche Wajeeh Nusseibeh, den muslimischen Schlüsselwächter, erlebt und von jungen Tel Avivern erzählt bekommen, wie sie im teuren Tel Aviv überleben können. Und vom Jesuskind habe ich auf meine Frage, wie es die Mauer findet, hinter der es lebt, keine Antwort bekommen. Ich habe von meiner Lehrerin Moria gelernt, auf Hebräisch Falafel zu bestellen und zusammen mit Israelis Lieder aus einer anderen Zeit gesungen. Und natürlich hat mich der Zufall zu noch viel mehr Menschen und Orten geführt: Mendy Cahans jiddische Bibliothek, die Notaufnahme des Ichilov-Krankenhauses und die Fashion-Week waren nur einige davon.

Aber die prägendsten Erfahrungen waren andere. Das waren die Minuten im Treppenhaus, das als Luftschutzbunker diente, und sicherlich auch der Tag, an dem in Tel Aviv eine Busbombe explodierte und ich mich kurz gefragt habe, ob ich jetzt nach Hause fliegen soll. Acht Tage lang hat der Krieg im Gazastreifen zwischen Israel und Hamas gedauert, bei dem knapp 200 Menschen starben und von dem viele Israelis sagen, es sei ja gar kein richtiger Krieg gewesen. Mir kommt diese Zeit viel länger vor und ich kann mich noch genau an die Stimmen der Menschen in Gaza erinnern, mit denen ich telefoniert habe und an die Bombeneinschläge, die währenddessen am anderen Ende der Verbindung im Hintergrund zu hören waren.

Danach sah das regenbogenbunte Leben in Tel Aviv aus wie der berühmte Tanz auf dem Vulkan. Und alle Normalität, die nach dem vereinbarten Waffenstillstand schnell wieder einkehrte, hat sich nicht richtig und zynisch angefühlt - bis ich verstanden habe, dass das ein Teil der Überlebensstrategie dieses Landes ist, während sich der Vulkan immer weiter und weiter erhitzt.

Manchmal habe ich einfach nur verstummt auf das geblickt, was ich da sah. Den Rechtsdrift in der jüdischen Gesellschaft, die radikalen Parolen der Hamas, den unaufhaltsamen Siedlungsbau, die Steine werfenden Palästinenser im Westjordanland, die Umfragen, die für die Wahl am 22. Januar einen deutlichen Sieg der rechts-konservativen Parteien vorhersagen.

Das wichtigste, was ich hier gelernt habe, ist sicherlich, dass dieses Land nicht einfach in zwei Monaten zu durchschauen ist, dass im Gegenteil das Bild immer unschärfer wird, je länger man es betrachtet und je mehr Informationen man sammelt und mit je mehr Menschen man spricht - und dass man sich immer weniger in der Lage fühlt, die Dinge hier zu bewerten oder in einem wenige Zeilen langen Kommentar eine abschließende Meinung zu vertreten. Vielleicht auch deshalb, weil es eine sehr zukunftspessimistische wäre.

Vielleicht lassen sich die zwei Monate deshalb am besten so zusammenfassen: Ich habe eine Zeit lang in Israel gelebt – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

StN-Redakteurin Lisa Welzhofer hat im November und Dezember 2012 in Tel Aviv gelebt und gearbeitet und für unsere Zeitung von dort berichtet. Sie war Stipendiatin des „Ernst-Cramer & Teddy Kollek-Fellowship“, das deutschen Journalisten einen Aufenthalt im Nahen Osten ermöglicht. Mit diesem Eintrag endet ihr Blog.