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In Stuttgart und Umgebung gibt es auch Alternativen zu Heiligabend im Kreise der Familie.

Stuttgart - Weihnachten ist die Zeit hoher Erwartungen: festlich und harmonisch soll es im Kreise der Liebsten werden. Doch nicht jeder hat etwa an Heiligabend Gesellschaft. "Wer einsam ist, den stürzt Weihnachten oft in eine tiefe Krise", sagt die Theologin Ute von Querfurth. Manche suchen Alternativen zum Familienfest.

Jeder Zehnte feiert Weihnachten nicht im Familien- oder Freundeskreis. Das ergab eine Umfrage der Apothekenzeitschrift "Senioren Ratgeber" unter rund 1900 Menschen im Jahr 2009. Am häufigsten sind Senioren ab 70 am Heiligen Abend alleine. Jeder Sechste, also rund 15 Prozent der Befragten, ist dann ohne Gesellschaft. "An jedem anderen Abend wäre es kein Problem, auf dem Sofa vor dem Fernseher zu sitzen. Aber an Weihnachten fühlt sich das für viele richtig schlimm an", sagt die stellvertretende Leiterin der Evangelischen Telefonseelsorge Stuttgart, Ute von Querfurth. Die Feiertage sind verknüpft mit Emotionen und Erinnerungen. "Liebe, Glück, Geborgenheit - das muss dazugehören. Doch in der Realität sieht es oft anders aus, Menschen sind einsam, Familien streiten sich", so die Theologin.

Nur Clubs und Discos öffnen

An Heiligabend gibt es vor allem für ältere Menschen kaum eine Alternative, als alleine zu Hause zu bleiben. Während die Clubs und Discotheken der Stadt zum Tanz nach der Bescherung einladen, bleiben Theater, Varieté und Konzertsäle geschlossen. Auch Schwimmbäder und Kinos schließen um die Mittagszeit. Pünktlich um 14 Uhr lassen die Geschäfte in der Stuttgarter Innenstadt ihre Rolltore runter. Alles strömt nach Hause, die Straßen sind abends wie leergefegt. "Die Tatsache, einsam zu sein, ist an keinem anderen Abend so präsent. Viele kommen von Veranstaltungen in ihre leere Wohnung und brechen dann zusammen", sagt von Querfurth. Die Telefonseelsorge ist dann oft der einzige Ansprechpartner. Ob an Weihnachten mehr Gesprächsbedarf bestehe als unterm Jahr, könne sie nicht sagen. "Unsere zwei Leitungen sind rund um die Uhr ausgelastet", sagt die Theologin.

Bei der Heilsarmee

Irmtraud Schüle lebt allein, seit ihr Mann vor vier Jahren starb. Weihnachten feiert die 64-Jährige aber schon lange im ganz großen Kreis. 120 Menschen haben sich angekündigt, und sie und ihre Kolleginnen haben alle Hände voll zu tun. Heiligabend verbringt Schüle bei der Heilsarmee - seit 40 Jahren. Essen servieren, Tüten mit Geschenken austeilen, die Feier vorbereiten - das gehört für die Rentnerin zum Fest wie für andere Tannenbaum und Gänsebraten. Das Publikum ist bunt gemischt, Obdachlose und arme Menschen sitzen am Tisch, aber auch Familien und Menschen, die Anschluss suchen. Sie essen zusammen, feiern und singen. Programm gibt es von 17 bis 20 Uhr, dann räumen alle zusammen den Gemeindesaal in der Rotebühlstraße 117 wieder auf. "Es ist sinnvoll, wenn man hilft", sagt Irmtraud Schüle.

"Es ist schön, an Heiligabend für andere da zu sein. Und selbst ist man auch nicht allein", sagt Gisela Klesznicki. Seit sie vor 21 Jahren von Hamburg nach Stuttgart kam, gehört die 70-Jährige zum Team: "Ich wurde von Anfang an so herzlich aufgenommen, dass ich nicht wieder weg wollte", sagt sie. Kontakt zu Verwandten hat die alleinstehende Rentnerin kaum, Weihnachten im stillen Kämmerlein zu feiern komme nicht infrage. "Mir macht es richtig Spaß, die strahlenden Gesichter zu sehen, wenn wir die Tür aufmachen und es los geht. Es gibt viele, die nach dem Abend bei uns freier und gelöster nach Hause gehen, weil sie sich etwas von der Seele reden konnten", sagt sie.

Treffen beim Senioren-Club

Alleine feiern kommt auch für die Senioren in Christa Krachts Freizeitclub 66 plus nicht in die Tüte. Vor sechs Jahren machte sich die 56-jährige gelernte Kauffrau mit der Idee selbstständig, Veranstaltungen und Kurzreisen für Senioren anzubieten, die alleine sind oder einen pflegebedürftigen Partner haben. Seither hat sie regen Zuwachs bekommen. "Vor zwei Jahren waren es noch an die 60 Mitglieder, heute sind es 100. Nur 15 Prozent davon sind Männer", sagt sie. Ihre Mitglieder trifft Christa Kracht persönlich, bevor sie aufgenommen werden. Zwölf Veranstaltungen organisiert sie im Monat, alle vier Monate wechselt das Programm. "Heiligabend machen wir zwar nichts Öffentliches. Aber einige Mitglieder haben sich zusammengeschlossen, feiern in Stuttgart oder machen eine Kurzreise", sagt sie.

Feiern in der Luke

Auch Eliane und Andreas Prangenberg feiern Weihnachten seit Jahren unkonventionell. "Wir wollen den ganzen Konsum-Schnickschnack nicht und konzentrieren uns lieber aufs Zusammensein", sagt Prangenberg. Seit Jahren laden die beiden 43-Jährigen Freunde, Bekannte und Familie zu sich ein - unter ihnen viele Alleinstehende. In diesem Jahr hat das Paar den Ludwigsburger Kulturkeller Die Luke (Maxstraße 1) übernommen und feiert Weihnachten sozusagen öffentlich. "Wer möchte, darf kommen", sagt Andreas Prangenberg. Alt, jung, arm oder reich, einsam oder nicht, das spiele keine Rolle. Nur zum Essen ist die Gesellschaft bereits geschlossen. Ab 21 Uhr stehen die Türen aber für jedermann offen. Dann gibt es einen Kurzfilm, Musik und Spiele. Stille Nacht, einsame Nacht? Für die Prangenbergs kommt das nicht infrage.