Eine Fixierung gilt als sogenannte besondere Sicherungsmaßnahme. Sie ist in Paragraf 25 des baden-württembergischen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz (PsychKHG) geregelt. Foto: dpa

Dürfen Ärzte psychisch kranke Menschen ohne richterlichen Beschluss fixieren? Die mündliche Verhandlung über eine Verfassungsbeschwerde beginnt an diesem Dienstag.

Karlsruhe - Ümit (Name von der Redaktion geändert) ist psychisch krank. Weil er Mitte Januar 2015 an einer sogenannten schizoaffektiven Störung leidet, stellt er sich in einem Krankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin in der Region vor. Ein Arzt nimmt ihn stationär auf und bringt ihn auf der geschlossenen Station unter. Dort soll er laut einer Stellungnahme der Klinik andere Patienten provoziert, Mitarbeiter der Station bedroht und wüst beschimpft sowie mehrmals die Polizei angerufen haben, um Bombendrohungen abzusetzen. Er wird deshalb wenige Tage später in einem Isolationszimmer eingesperrt und darin an fünf Punkten an ein Krankenbett gefesselt sowie durch Medikamente ruhig gestellt.

Auf Antrag der Psychiatrie ordnet das Amtsgericht Ümits zwangsweise Unterbringung in der geschlossenen Abteilung bis Anfang März an. Als die Mitarbeiter in den Tagen danach immer wieder versuchen, die Fixierung zu lockern, randaliert der Patient. Mal packt Ümit eine Urinflasche und donnert sie gegen Lichtschalter. Mal stößt er den Nachttisch um und wirft mit einer Schublade nach dem Klinikpersonal. Und einmal zertrümmert er sogar einen Stuhl. Ärzte ordnen jedes Mal an, ihn wieder zu fixieren.

Eine Fixierung gilt als sogenannte besondere Sicherungsmaßnahme. Sie ist nur zulässig, wenn und solange eine gegenwärtige erhebliche Gefahr für die Sicherheit in einer anerkannten Einrichtung – insbesondere für sich selbst und Dritte – besteht und ein milderes Mittel keinen Erfolg verspricht. Ärzte in anerkannten Kliniken dürfen eine Fixierung selbst anordnen. Liegen die Voraussetzungen dafür nicht mehr vor, so ist diese umgehend aufzuheben. So sieht es Paragraf 25 des baden-württembergischen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz (PsychKHG) vor.

Bundesverfassungsgericht verhandelt Beschwerde

Weil Ümit mehrere Grundrechte durch die ärztliche Entscheidung verletzt sieht und ein Antrag seines Verfahrenspflegers, die Fixierung für rechtswidrig zu erklären, vom Amtsgericht zurückgewiesen worden ist, reicht sein Verfahrenspfleger Mitte Februar 2015 Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, dass die Fixierung wegen des schwerwiegenden Eingriffs in Grundrechte richterlich angeordnet oder genehmigt werden müsse.

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts verhandelt die Beschwerde – zusammen mit einem ähnlich gelagerten Fall aus Bayern – an diesem Dienstag und Mittwoch. Im Kern geht es um die Frage: Ist die aktuelle Ausgestaltung des baden-württembergischen PsychKHG verfassungsgemäß? Muss das Land nachbessern?

Wie aus einer Stellungnahme hervorgeht, die unserer Zeitung vorliegt, hält das Land die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Das zuständige Sozialministerium argumentiert, durch die richterliche Anordnung der Unterbringung in einer anerkannten Einrichtung sei der Richtervorbehalt erfüllt. Und weil die Grundsatzentscheidung eines Richters über eine Unterbringung in einer geschlossenen Abteilung bereits die körperliche Bewegungsfreiheit aufhebe, betreffe die Entscheidung über die Fixierung eines Patienten nicht mehr, ob es eine Freiheitsentziehung gebe oder nicht, sondern nur noch die Art und Weise, wie sie umgesetzt werde. Sie unterliege deshalb nicht dem Richtervorbehalt. So sähen es auch andere Bundesländer.

„Würde die Polizei so mit Tatverdächtigen, ...“

Bräuchte es darüber eine richterliche Entscheidung, hätte dies erhebliche Auswirkungen auf die Praxis in Psychiatrischen Krankenhäusern. Denn oft müssen Fixierungen bei kurzfristig auftretenden Gefährdungen unverzüglich angeordnet werden. Im Jahr 2016 gab es im Südwesten insgesamt 2766 Fixierungen von psychisch Kranken.

Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde hält eine richterliche Genehmigung bei Fixierungen für grundsätzlich notwendig. Sie weist aber auch darauf hin, dass in bestimmten Situationen Sicherungsmaßnahmen sofort und unmittelbar möglich sein müssen, um akute und schwerwiegende Gefahren für den Betroffenen und Dritte abwenden zu können. Sie hält eine Regelung für erstrebenswert, die Sicherungsmaßnahmen unter Richtervorbehalt stellt, wenn sie über längere Zeit oder regelmäßig erfolgen. In Akutfällen sollen sie für einen begrenzten Zeitraum aber ohne richterliche Entscheidung gestattet sein.

Matthias Seibt vom Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener hingegen sieht ein grundsätzliches Problem durch die Frage eines Richtervorbehalts nicht gelöst: den Umgang mit den psychisch erkrankten Menschen. Folter werde zur Heilbehandlung erklärt, sagt Seibt: „Würde die Polizei so mit Tatverdächtigen oder der Strafvollzug so mit Kriminellen umgehen, die Medien berichteten voller Empörung.“