Die Frau und der Sektenpriester: Sameerah Luqmaan-Harris (links) und Orlando Jones in der Folge „Knockadoo“ Foto: HBO

Sky startet am Sonntag eine neue HBO-Serie: „Room 104“ liefert kurze, in sich abgeschlossene Episoden mit nur einem Schauplatz, aber voller Psychohorror. Was im Motel-Zimmer 104 passiert, lehrt den Zuschauer auf subtile Weise das Gruseln.

Stuttgart - Achtung, dies ist eine Warnung, und sie ist gut gemeint: Wem selbst grausamste Gruselthriller voller Monster, Zombies, Spukgestalten nicht zu heftig sind, wer bei „The Walking Dead“ zu Abend essen kann und nach „American Horror Story“ ruhig schläft wie ein Lamm, wessen Gemüt folglich belastbar ist wie das Kreuz eines Eisenbiegers, sollte sich trotzdem zweimal überlegen, ob „Room 104“ für ihn zu krass sein könnte – was umso bemerkenswerter ist, als die neue HBO-Serie ganz harmlos daherkommt. Eigentlich.

Im Grunde orientiert sich die Story des Showrunners Mark Duplass und seines Bruders Jay zwar an einem Genre, das seit Jahrzehnten funktioniert: am Hotelfilm und seiner Mischung aus Gesellschaftsstudie, Ensemblestück und Kammerspiel. Doch in dieser muffigen Herberge ist alles etwas anders – anders auch als beim literarischen Vorbild „Menschen im Hotel“, das 1932 mit Stars wie Greta Garbo die Existenzen völlig verschiedener Figuren auf der Durchreise filmisch zusammengeführt hat. In „Room 104“ kommen sie nun in einem Motel an einer Ausfallstraße zusammen, deren Name so wenig von Belang ist wie jener des Gasthauses. Schließlich geht es um die merkwürdige Atmosphäre des etwas heruntergekommenen Zimmers 104, das während der gesamten Staffel nahezu unverändert bleibt und das sonderbare Geschehen darin umso mehr zur Geltung bringt.

Horror in der Realtiät – und im Kopf

Zum Auftakt betritt ihn unter der fabelhaften Regie von Sarah Adina Smith die Babysitterin Megan, um auf das Kind eines Mannes aufzupassen, der für wenige Stunden unterwegs ist. Weil der kleine Junge weder zu sehen noch zu hören ist, existiert er zunächst nur als vage Vorstellung. „Er braucht immer zwei Minuten“, sagt sein Vater und geht. Da es aber doch ein paar mehr sind, werden die Nerven des Zuschauers bereits durch die Frage, was sich tatsächlich hinter der Tür verbirgt, zum Zerreißen gespannt. Die Stimmung wird keinesfalls erträglicher, als Ralph (großartig: Ethan Kent) auftaucht und vorm bösen Bruder Ralphi im Bad warnt, der zu allem fähig sei, wenn man ihn verärgere.

Ist Ralphi ein unsichtbarer Freund, wie ihn Grundschüler oft haben? Oder eine reale Bedrohung, die von der Babysitterin unterschätzt wird? So baut sich ohne Effekthascherei ein knapp halbstündiges Gruselszenario auf, das offenlässt, ob es sich im Kopf der Beteiligten abspielt oder doch in der Realität davor. Kein Untoter mit herausquellendem Gedärm, kein „Weißer Wanderer“ im Norden von Westeros vermag es, mit so wenig Aufwand so viel Unbehagen beim Zuschauer auszulösen wie die fesselnden Kurzgeschichten aus der Feder von Mark Duplass.

Erweckungsvideos für das gefangene Bewusstsein

Ästhetisch im Stil des karg ausgestatteten, kostengünstigen Nuschelfilms gehalten, erzeugt das Multitalent aus New Orleans auch in den elf Folgen danach dieses hilflose Gefühl dauernder Unterwanderung. In Episode 3 namens „Knockadoo“ trifft eine Frau an gleicher Stelle den charismatischen Vertreter einer dubiosen Sekte, der sie mit billig produzierten Erweckungsvideos einer höheren Bewusstseinsebene zuzuführen vorgibt. Zwei Folgen später versucht ein Buchautor, seine Mutter am Telefon zu überreden, ihm pünktlich zum Gespräch beim Verlag das vergessene Manuskript via Internet ins Motel zu schicken – was insofern schwierig ist, als der Clou der Geschichte darin liegt, dass das Telefonat zwanzig Jahre zuvor stattfindet. Seine Mutter hat – in den Neunzigern – vom Internet keine Ahnung. Das hat gravierende Folgen. Für alle. In jeder Sekunde.

„Room 104“ beschreibt mehr oder weniger gewöhnliche Alltagssituationen, in denen Opfer und Täter, Schuld und Vergebung so wild durcheinandergewürfelt werden, dass man vorm Bildschirm zwar weiß, dass hier jemandem etwas Furchtbares widerfährt. Nur wem genau durch wen – das bleibt zuweilen bis zum Abspann ungelöst. Dass es im Leben keine absolute Sicherheit gibt, was wahr und falsch ist, das ist das von der Serie vermittelte Grundgefühl – und diese Unbehaglichkeit in Psychokurzthriller zu fassen, ohne mit visuellen Exzessen des Übersinnlichen zu arbeiten, ist eine tolle Leistung: Die Brüder Duplass sind ernsthafte Anwärter auf den nächsten Emmy.