Der Gemeinderat muss entscheiden, wie er mit dem Überschuss umgeht. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Haushalten ist wichtig, darf jedoch nicht zum Selbstzweck werden. Lokalchef Jan Sellner nennt Gründe, warum die Stadträte gegenüber der Verwaltung selbstbewusster auftreten sollten.

Stuttgart - Schön, dass so eine Durchsage auch mal möglich ist: Achtung, Achtung, aus gegebenem Anlass wird die Stadt Stuttgart aufgefordert, Geld auszugeben! Der Anlass ist der in dieser Woche von Oberbürgermeister Fritz Kuhn und Finanzbürgermeister Michael Föll vorgestellte Jahresabschluss 2016. Unter dem Strich steht ein Plus von 231 Millionen Euro. Bei den Haushaltsberatungen im Jahr zuvor war der Stuttgarter Kämmerer noch von einem Kreditbedarf von 290 Millionen Euro ausgegangen. Wie man sich verrechnen kann . . . in dem Fall glücklicherweise zugunsten der Stadt und ihrer Bürger. Nur sollten die auch etwas davon haben.

Genau darum geht der aktuelle Streit im Stuttgarter Gemeinderat. Während Föll und Kuhn die ohnehin prall gefüllten städtischen Sparschweine weiter stopfen wollen, sind die Stadträte entschlossen, die unverhofft aufgetauchten Millionen auszugeben. Sinnvolle Projekte gibt es jede Menge. Angefangen von den personell unterbesetzten Bürgerbüros bis zu Sportstätten und Spielplätzen, die teils in beklagenswertem Zustand sind. Irritierend wirkt in dem Zusammenhang, dass die Stadtspitze nicht nur nichts ausgeben, sondern an lieb gewonnenen Dingen auch noch sparen will: an Blumen, an Brunnenwasser und öffentlichen Warmbadetagen.

Die Rathausspitze setzt auf das Hamster-Prinzip

Föll und Kuhn halten eisern an dem schon von Manfred Rommel und Wolfgang Schuster beherzigten Hamster-Prinzip fest: Geld zur Seite legen, vorsorgen, horten. Man weiß schließlich nie, was kommt. Außerdem fallen irgendwann große Ausgaben für die Opernsanierung und ein neues Konzerthaus an. Zu Recht kann die Verwaltung darauf verweisen, dass die Spardisziplin in den vergangenen Jahren zu einer deutlichen Entlastung geführt hat. Der Schuldendienst, den die Großstadt heute noch leisten muss, bewegt sich mit 300 000 Euro pro Jahr im Kleinstadtbereich. Auf der anderen Seite macht Stuttgart mit seiner Rücklagenpolitik (1,8 Milliarden Euro) in der Niedrigzinsphase Geld kaputt. Und gelegentlich entsteht der Eindruck, dass das Sparen zum Selbstzweck geworden ist. Das hätte dann nichts mehr mit der berühmten schwäbischen Hausfrau zu tun, sondern mit dem schwäbischen Geizkragen.

Personalmangel wirkt sich gravierend aus

Die Rathausspitze läuft jedenfalls Gefahr, vor lauter Vorausschau das Naheliegende aus dem Blick zu verlieren. Dazu gehören neben Dienstleistungen kleine Dinge, die zur Lebensqualität in einem Gemeinwesen beitragen – beim Blumenbeet angefangen. Gravierend wirkt sich der Personalmangel in der Verwaltung aus. Längst bewilligte und finanzierte Sanierungsmaßnahmen in Schulen verzögern sich, weil im Hochbauamt Leute fehlen. Dass der Gemeinderat dort jetzt befristete Stellen in dauerhafte Stellen umgewandelt hat, war überfällig. Überhaupt haben es die Stadträte selbst in der Hand, das Ausgabeverhalten der Stadt zu gestalten. Hier sollten die Vertreter der Bürgerschaft selbstbewusster auftreten.

Eines zeigt der Überschuss-Streit aber auch sehr deutlich: Stuttgart hat Probleme, von denen andere nur träumen können. Die Stadt kann sich was leisten. Das heißt nicht, dass sie das erwirtschaftete Geld verpulvern sollte. Insofern muss die Eingangsdurchsage präzisiert werden: Aus gegebenem Anlass wird die Stadt Stuttgart aufgefordert, Geld auszugeben – überall dort, wo’s den Bürgern nützt.

jan.sellner@stzn.de