„Viele Menschen machen sich in diesen Tagen Sorgen um die Stabilität unserer so gewohnten Ordnung“, sagte Kanzlerin Angela Merkel in ihrer Bundestagsrede. Foto: AFP

Die große Koalition will Erfolge à la Trump in Deutschland verhindern – aber in der Generalaussprache im Bundestag wird nicht recht klar, wie sie dies erreichen könnte.

Stuttgart - Zumindest die 10. Klasse der Lautereck-Realschule in Sulzbach an der Murr hat alles verstanden, was die Politiker während der letzten Generaldebatte vor dem Bundestagswahlkampf alles gesagt haben. „Nur ein, zwei Wörter“ habe er nicht gekannt, sagt Marvin Traub, der gerade mit seiner Klasse nach der Rede von Angela Merkel die Besuchertribüne im Berliner Reichstags verlassen hat. Insofern scheint die Bundeskanzlerin die Forderung von Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter bereits erfüllt zu haben, dass alle Parteien „eine Sprache finden müssen, die Demokratie wieder greifbar macht“. Welche Lehren nämlich für Deutschland aus dem Brexit-Votum in Großbritannien und Donald Trumps Wahl in den USA im Umgang mit der AfD zu ziehen sind, steht als Überschrift über dieser Generaldebatte.

„Viele Menschen machen sich in diesen Tagen Sorgen um unsere gesellschaftliche Ordnung“, weiß auch Merkel. Sie redet davon, das gerade in Europa zu viel Recht gesetzt, aber nicht durchgesetzt worden ist, zu viel angekündigt und zu wenig umgesetzt worden ist. Die Kanzlerin gelobt Besserung, „ansonsten leidet die Glaubwürdigkeit europäischen Handelns“. Ihr ist das Bemühen anzumerken, eine Welt erklären zu wollen, die sich immer schneller zu globalisieren, digitalisieren und terrorisieren scheint. Sie malt den Bürgern die beiden großen Alternativen aus ihrer Sicht aus: sich auf die eigene Nation zurückziehen oder gemeinsam Globalisierung gesta1ten. „Vor dieser Frage stehen wir“, so Merkel, die sie für sich längst beantwortet hat, aber die Umfragen aus Sachsen kennt. 25 Prozent der Wähler würden derzeit ihr Kreuz bei der AfD machen – und damit wohl die erste Rückzugs-Variante bevorzugen.

Hassreden im Netz unterbinden

Der aufgeheizten Stimmung will die Kanzlerin öffentliche Debatten „im Geiste des Respekts“ entgegensetzen und im Netz „Hassreden unterbinden“. Lob bekommt die über ihre Türkeipolitik redende Kanzlerin von den Sulzbacher Schülern zum Beispiel nachträglich dafür, dass sie die „Schande“-Rufe linker Abgeordneter gelassen als „Teil der freien Meinungsäußerung“ bezeichnet. Merkel nennt die Lage am Bosporus alarmierend, will aber den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen. Ab und an brandet der Applaus in der Unionsfraktion auf, etwas seltener bei der SPD.

Hoch gegangen sind die Emotionen eher bei Merkels Vorrednerin Sahra Wagenknecht, die als Fraktionschefin der größten Oppositionspartei die Generaldebatte eröffnet hat. Sie zeichnet dabei ein düsteres Bild der sozialen Lage in Deutschland, weil 4,3 Millionen Erwerbstätige zusätzlich Hartz IV beziehen, „baufällige Schulen“ ihrer Meinung nach keine Zukunftschancen bieten und die Regierung ein „steuerpolitisches Wohlfühlprogramm für Konzerne und Superreiche“ fahre: „Der einfache Bürger kämpft um das Überleben“, sagt sie und erntet lauten Protest von den Regierungsfraktionen.

Die Kanzlerin hält die Zahl der Hartz-IV-Empfänger in Arbeit ebenfalls „für viel zu hoch“, spricht beim Kampf gegen Steuerdumping von „Schritten in die richtige Richtung“, vom ausgeglichenen Etat und darüber, dass die Hälfte des neuen Bundeshaushalts für soziale Zwecke ausgegeben werde: „Den Menschen in Deutschland ging es noch nie so gut wie im Augenblick.“ Das wiederum lässt den Grünen Hofreiter erwidern, dass sich hinter der volkswirtschaftlichen Erfolgsstatistik eben doch soziale Gräben auftun: „Der Durchschnitt kann vieles verdecken.“

Die Linke kritisiert „großkoalitionäres Weiter-so“

Was also tun? Sahra Wagenknecht hält Union und SPD ein „großkoalitionäres Weiter-so“ vor – tatsächlich ist bis auf den verstärkten Kampf gegen Hassreden im Netz und das Bemühen um eine klarere Sprache wenig Neues zu hören. Das Wir-haben-verstanden durchzieht auch die Rede von SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann, der ahnt, dass es nicht damit getan ist, die bestehende Politik „besser zu erklären“. Die Lösungen der Linken – raus aus Freihandelsverträgen und Nato etwa – aber lehnt er ab: „Früher hieß es: Proletarierer aller Länder vereinigt Euch“, ruft er Wagenknecht zu, die Trumps Wirtschaftspolitik die der großen Koalition vorzieht: „Heute heißt es: Populisten aller Länder vereinigt Euch.“