Die Zahl der Wohngeldanträge ist in Stuttgart stark gestiegen. Foto: factum/Weise

Seit Jahresbeginn erhalten Haushalt mit unzureichendem Einkommen ein höheres Wohngeld. Seither ist die Zahl der Anträge zwar deutlich gestiegen, aber nicht im erwarteten Umfang. Gestiegen ist hingegen die Wartezeit und zwar deutlich.

Stuttgart - Nach der Wohngeldreform des Bundes zum Beginn des Jahres 2016 wächst die Zahl der Wohngeldbezieher in Stuttgart wieder. Bisher aber haben deutlich weniger Haushalte als erwartet einen Antrag gestellt. Nicht wenigen könnte deshalb die städtische Bonuscard entgehen. Schwellenhaushalte bekommen diese von kommendem Januar an nur noch, wenn sie wohngeldberechtigt sind. Ob sie aber noch kurzfristig zum Zuge kommen, ist eher unwahrscheinlich: Die Wartezeiten zwischen einem Antrag und dem Bescheid liegen in manchen Bezirksämtern inzwischen bei bis zu sechs Monaten.

Wenn sonst die Zahl der Menschen, die soziale Leistungen in Anspruch nehmen, stark steigt, ist das für die Kommunalpolitik eher ein Warnzeichen als ein Grund zur Zufriedenheit. Beim Wohngeld ist das anders. Das zahlt der Bund, und angesichts stark gestiegener Mietenfindet man bei der Stadt, dass diese Form der finanziellen Unterstützung schon längst hätte erhöht werden müssen. Der Leiter des städtischen Sozialamtes, Stefan Spatz, sagt deshalb: „Wohngeld ist eine noch immer zu wenig wahrgenommene Leistung.“

Zahl der Anträge ist um 43,7 Prozent gestiegen

Diese Einschätzung hat sich auch im laufenden Jahr nicht geändert. Zwar ist die Zahl der von Januar bis September gestellten Wohngeldanträge im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um immerhin 43,7 Prozent auf insgesamt 11 370 gestiegen. Und die Höhe der durchschnittlichen Auszahlung pro Monat und Haushalt ist von 177 Euro auf 267 Euro angewachsen. Das hat in den ersten drei Quartalen dieses Jahres zu ein Plus bei den Auszahlungen von insgesamt 4,27 Millionen Euro im Vorjahr auf 7,27 Millionen Euro in 2016 geführt – plus 70 Prozent. Gut so, findet nicht nur Sozialamtsleiter Spatz: „Die Mieten explodieren, sie sind für die Haushalte der teuerste Ausgabenfaktor, deshalb war es absolut notwendig, dass beim Wohngeld nachgesteuert worden ist.“

Warum aber die verhaltene Freude bei der Kommunalpolitik und der Stadtverwaltung über diese Entwicklung? Rechnet man bei den Anträgen eine Ablehnungsquote von etwa 25 Prozent ein, dann ist die Zahl der Wohngeldhaushalte im laufenden Jahr bisher lediglich um 31,5 Prozent gestiegen. Das ist noch nicht sehr viel, selbst gemessen an den Erwartungen des Bundes, wo man mit einem Plus von bis zu 60 Prozent gerechnet hatte. Joachim Siebel, der Wohngeldexperte der Stadt, betrachtet das Ganze zudem vor dem Hintergrund früherer Jahre. „Die Zahlen sind nur so gut, wenn man nicht berücksichtigt, dass das Wohngeld vor einigen Jahren reduziert und es sieben Jahre lang keine Novelle gab“, gibt er zu bedenken.

Zahl der Antragsteller in den vergangenen Jahren gesunken

2009 und 2010 stieg die Zahl der Wohngeldempfänger deutlich (dazu die nebenstehende Grafik), der Höchstwert lag bei 4882 Haushalten. Die Statistik des Landes erfasst in diesem Wert alle Haushalte, die im Dezember des Berichtsjahres Wohngeld erhalten. Es sind darin also nicht alle Fälle enthalten, zum Beispiel die Bewilligungen mit kürzerer Laufzeit nicht. Der Anstieg hatte jedenfalls damit zutun, dass Berlin in den beiden Jahren in die Bedarfsbemessung für alle pauschal einen „Heizkostenzuschlag“ eingerechnet hatte, wodurch der Kreis der Anspruchsberechtigten merklich gestiegen war.

Im Zuge der Haushaltskonsolidierung habe der Bund diesen 2011 wieder kassiert, sagt Joachim Siebel. Und weil in den Jahren seither trotz gestiegener Einkommen und Mieterhöhung von teilweise 30 bis 40 Prozent nichts an den Kriterien verändert worden sei, „ist das Wohngeld stark entwertet worden“, so Siebel. Man könne derzeit auch nicht sicher sein, dass man beim Wohngeld überhaupt wieder das Niveau von 2010 erreichen werde.

Bei Schwellenhaushalten Bonuscard nur noch mit Wohngeld

Für die Stadt stellt sich noch eine andere Frage. Sie hat für Schwellenhaushalte, die kein Hartz IV beziehen, aber nur wenig darunter liegen, die Kriterien geändert für die Bewilligung der Bonuscard. Während Hartz-IV-Haushalte die wegen zahlreicher Vergünstigungen begehrte Karte automatisch erhalten, mussten Schwellenhaus einen individuellen Antrag stellen. Von 2017 ist Wohngeldbezug dafür die Voraussetzung. Unter den fast 78 000 Personen, die im vergangenen Jahr die Bonuscard bekommen hatten (Aufwendungen der Stadt: rund 6,3 Millionen Euro), waren auch die Mitglieder von rund 4400 Schwellenhaushalten.

Da man davon ausgehe, dass alle von diesen wohngeldberechtigt sind, „wollen wir auch, dass sie Wohngeld beantragen“, sagt Sozialbürgermeister Werner Wölfle (Grüne). Man nimmt an, dass auf diesem Wege sogar zusätzlich 2400 Personen eine Bonuscard bekommen werden. Nur: Trotz mehrfacher Aufforderung hatten bis Oktober kaum Schwellenhaushalte einen Wohngeldantrag gestellt. „Es gab praktisch keine Reaktion“, sagt Joachim Siebel. Erst nach einem weiteren Schreiben mit Bonuscard-Antrag nehmen die Anträge deutlich zu. Mit einer sehr unerfreulichen Begleiterscheinung: Zuvor lagen die Wartezeit zwischen Antragstellung und erfolgtem Bescheid bei vier bis sechs Wochen, daraus sind vier bis sechs Monate geworden – Tendenz steigend. Mit einer zusätzlichen Springerstelle, die in besonders betroffenen Bezirksämtern aushilft, will die Stadt dem Missstand abhelfen.