Im Sindelfinger Rathaus muss der Rotstift angesetzt werden Foto: factum/Weise

Die Stadt Sindelfingen muss 62 Millionen Euro Gewerbesteuer zurückzahen, weil das Bundesverfassungsgericht ein Steuergesetz aus dem Jahr 2003 geändert hat. Die Stadtverwaltung überprüft nun sämtliche geplanten Ausgaben. Der Haushalt 2015 liegt auf Eis.

Sindelfingen - Eigentlich hatten die Verantwortlichen im Sindelfinger Rathaus ein geruhsames Osterfest geplant – nun kommt alles anders. Über die Feiertage wartet eine Menge Arbeit. Völlig überraschend ging am Montag ein Bescheid der Finanzbehörde ein, wonach die Stadt in diesem Jahr 62 Millionen Euro Gewerbesteuer zurückzahlen muss. Sämtliche laufenden Vorhaben, bei denen die Stadt investieren wollte, kommen nun auf den Prüfstand. Die Verabschiedung des Haushalts 2015 ist verschoben.

„Damit haben wir überhaupt nicht rechnen können“, sagte der Sindelfinger OB Bernd Vöhringer, „das ist eine dramatische Entwicklung und ein heftiger Schlag für uns.“ Es habe erst am vergangenen Freitag „ein erstes Signal gegeben“, dass die Stadt mit einer Gewerbesteuerückzahlung rechnen müsse. Näheres erklärte der Rathauschef nicht. Kurze davor hatte die Verwaltung nämlich einen ganz anders lautenden Bescheid bekommen, wonach die Kommune für 2014 mit einer Gewerbesteuernachzahlung von zehn Millionen Euro rechnen dürfe. Die Gewerbesteuereinahmen steigen damit auf 70 Millionen Euro.

Im Gegenzug würden nun in diesem Jahr jedoch 38 Millionen Euro fällig, die für die Jahre 2002 und 2003 zu viel verbucht worden seien, erklärte der Erste Bürgermeister Christian Gangl. Und dazu kämen noch für diese Summe 24 Millionen Euro Zinsen. Das Bundesverfassungsgericht hatte Ende 2013 entschieden, dass Aktienverluste nachträglich steuerlich und damit gewinnmindernd geltend gemacht werden können, was der Bundesfinanzhof im Jahr darauf bestätigte. Dies tangiere letztlich die von den Unternehmen zu zahlende Gewerbesteuer, die 2002 und 2003 angefallen sei, so Gangl. „Manche Firmen haben gegen die damaligen Bescheide Widerspruch eingelegt und bekommen ihr Geld jetzt zurück“, erläuterte der Sindelfinger Kämmerer Wolfgang Pflumm.

Die Stadt plante bis Ende 2015 mit Rücklagen von 51,5 Millionen Euro. „Wir können der Rückzahlngsaufforderung nachkommen“, stellte Pflumm deshalb fest. Aus heutiger Sicht seien die für die künftigen Jahre geplanten Etats aber nicht mehr genehmigungsfähig, unterstrich Gangl. Am Ende der jetzigen Finanzplanung würde die Stadt mit dieser finanziellen Belastung einen Schuldenstand von 90,5 Millionen Euro haben. „Damit wären wir in einer schwindelerregenden Höhe angelangt“, konstatierte der OB. Es müssten Kredite in einer nicht akzeptablen Höhe aufgenommen werden. Momentan stehen laut Gangl bei der Stadt überhaupt keine Verbindlichkeiten zu Buche. „Wir haben trotzdem mit sofortiger Wirkung eine Haushaltssperre erlassen“, so Vöhrunger. Die Vorgehensweise sei mit dem Regierungspräsidium in Stuttgart abgestimmt. Sämtliche geplanten Ausgaben lägen vorerst auf Eis. Dies betreffe auch Straßensanierungen und die Renovierung von Schulgebäuden. Auch nach anderen möglichen Einsparungen wird gesucht, zudem werden die Gebühren von städtischen Einrichtungen geprüft.

Auch nach anderen möglichen Einsparungen wird gesucht, zudem werden die Gebühren von städtischen Einrichtungen geprüft. „Unsere finanzielle Lage bringt auch Belastungen für die Bevölkerung mit sich“, kündigte Vöhringer an und fügte hinzu: „Wenn wir als Stadt in dem kommenden Jahren handlungsfähig bleiben wollen, müssen wir bald entsprechende Einschnitte vornehmen.“

An ein Auf und Ab der Gewerbesteuereinnahme, die hauptsächlich von der Geschäftslage des Daimler-Konzerns abhängt, ist die Stadt zwar schon gewöhnt. Im Spitzenjahr 1988 kamen 140 Millionen Euro in die Kasse, in den Krisenjahren 2008/2009 fast gar nichts. „So schlimm es es dieses Mal nicht ganz“, sagte Gangl. Doch zeige sich wieder mal, wie schwierig es sei, in Sindelfingen zu planen.

Kritik übte der Sindelfinger Bundestagsabgeordnete Richard Pitterle (Die Linke) an Landesfinanzminister Nils Schmid (SPD), Sindelfingen und andere möglicherweise betroffene Kommunen nicht informiert zu haben: „Dem Finanzministerium sind die Urteile doch lange schon bekannt.“

Der Böblinger Stadtsprecher Wolfgang Pfeiffer ließ allerdings verlauten, dass Böblingen s ind diesem Jahr unter dem Strich mit einem Gewerbesteueraufkommen von 52 Millionen Euro plane. Auch in Herrenberg und Leonberg ist von einer möglichen Rückzahlung nichts bekannt. In der Gemeinde Weissach, die enorme Gewerbesteuereinnahmen durch die Firma Porsche hat, war am Mittwoch kein Verantwortlicher zu erreichen.