Friederike Dinkel: Die Studentin will Hausärztin werden Foto: Haar

In fünf Jahren geht ein Drittel aller Hausärzte in Stuttgart in den Ruhestand. Experten warnen vor einem bevorstehenden Mangel in der hausärztlichen Versorgung. Eine 20-jährige Studentin und ein 30-jähriger Jungmedizinermachen Mut: Offenbar wandelt sich das schlechte Image der Allgemeinmedizin wieder.

Reutlingen/Tübingen -  Tübingen/Reutlingen - Husten, Schnupfen, Heiserkeit. Wenn Alexander Rau diese drei Schlagworte hört, wird er fuchsig. Denn meistens fallen sie in einem bestimmten Zusammenhang. Einem despektierlichen Zusammenhang. Husten, Schnupfen, Heiserkeit steht für Allerweltsmedizin. Steht für einen trostlosen Alltag, in dem der Arzt in seiner Praxis tagaus, tagein mit 08/15-Fällen konfrontiert ist. Diese Haltung hat offenbar auch zu einem schleichenden Imageverlust der Allgemeinmediziner geführt.

Ein Verlust der Anerkennung, den Alexander Rau nicht nachvollziehen kann: „Husten, Schnupfen, Heiserkeit ist doch ein Klischee. Mit dem Praxisalltag hat das nichts zu tun.“ Er muss es wissen. Nach seinem Studium in Göttingen und einer zweijährigen Zeit in der Kardiologie des Reutlinger Krankenhauses arbeitet er nun in einer Hausarztpraxis in Eningen. Dort, als angestellter Arzt einer Gemeinschaftspraxis, erlebt er täglich, wie spannend die Allgemeinmedizin sein kann. „Ich könnte nie den ganzen Tag Röntgenbilder anschauen“, sagt er.

Es mag etwas abgedroschen klingen, aber Rau sieht in seinem Beruf seine Berufung. Nicht nur weil sein Vater bereits Hausarzt war. „Als Hausarzt muss man überall beschlagen und versiert sein, da kann alles kommen.“ Diese Herausforderung bereitet ihm Freude. Wenn manche seiner früheren Kommilitonen „nur wegen der Kohle“ in andere Bereiche der Medizin gegangen seien, ist das für Rau „die falsche Herangehensweise“. Sein medizinischer Eid beinhaltet die Formel: „Ohne Idealismus geht es nicht.“

Natürlich kennt er die andere Seite. Jene, die geregeltere Arbeitszeiten in einer Klinik anstrebt. Aber aus seiner Zeit als Assistenzarzt weiß er: „In der Klinik gibt es keine Stechuhr-Medizin.“ Auch die Bezahlung ist für Jungmediziner nicht gerade üppig. Allein, die Verantwortung als Angestellter ist geringer. Daher schätzt Rau seinen derzeitigen Status. Zwei alte Hasen im Alter von 60 Jahren führen die Praxis in Eningen, Rau ist angestellt. Gut möglich, dass er die Praxis eines Tages übernimmt. Weniger vorstellbar ist für ihn jedoch, als „Einzelkämpfer“ die Praxis zu führen.

Alexander Rau ist offenbar kein Einzelfall. Der Blick nach Tübingen an die Uni ins Erstsemester zeigt das. Dort büffelt Friederike Dinkel (20) täglich stundenlang in ihrer Mansarde für ihren Traum. Friedi, wie die gescheite junge Dame von ihren Freunden genannt wird, kann „sich gut vorstellen“, später als Hausärztin zu arbeiten. Sie überzeugen die Argumente von Alexander Rau: „Ein Allgemeinmediziner ist wie ein Zehnkämpfer. Er muss in jeder Disziplin gut sein. Nicht nur in einer. Er ist der König der Athleten.“

Anteil an dieser positiven Grundhaltung zur Allgemeinmedizin hat auch die Universität Tübingen. Friedi Dinkel hat das Gefühl, als würden die 150 Erstsemester sanft in Richtung Allgemeinmedizin geführt: „Als wir neulich Berufsfeldentdeckung hatten, gab es mehr Hausärzte als Fachärzte zur Auswahl.“

Die Medizinerin in spe landete also bei einem Hausarzt aus Leidenschaft. „Er referierte über eine Stunde lang über die Vorzüge eines Allgemeinmediziners“, erinnert Friedi Dinkel sich, „seit diesem Plädoyer sind manche ins Grübeln gekommen.“ Ursprünglich seien diese Kommilitonen stur auf dem Karriereweg gewesen. Viele Studierenden seien auf einem Leistungstrip. Für sie zähle nur der Erfolg: beste Noten, Spezialisierung in eine Fachrichtung, guter Verdienst, gute Aufstiegsmöglichkeiten, Renommee.

Wer so denke, für den habe der Job des Allgemeinmediziners ein schlechtes Image: „Viele sagen“, berichtet Dinkel, „so werde ich nie der Beste in einem Bereich. Und wenn es mit den Patienten mal spannend wird, muss ich sie zum Facharzt weiterschicken.“

Friedi Dinkel denkt anders. Sie denkt weiter und sozialer. Obwohl ihr der Wettbewerbsgedanke nicht fremd ist. Sie hat ein 1,0-Abi hingelegt und bringt in der Leichtathletik Spitzenleistungen. Aber ihre Haltung gründet wahrscheinlich in ihrer Erziehung. Die Pfarrerstochter verbindet mit ihrem Studium einen Auftrag: „Ich frage mich immer, wie kann ich später am meisten der Gesellschaft helfen.“ Weiter sagt sie: „Ich glaube, ich brauche mal viel Patientenkontakt. Ich muss mit den Menschen doch auch ins Gespräch kommen.“

Möglicherweise sind Friederike Dinkel und Alexander Rau eher Ausnahmen. Aber ihre Ansichten und Haltungen zur Allgemeinmedizin und zum Hausarzt zeigen auch: Es könnte sich etwas drehen. Dann, wenn immer mehr junge und angehende Mediziner die Ansicht von Alexander Rau teilen: „Denn hier geht es nicht nur um Husten, Schnupfen, Heiserkeit.“