„Zeit“-Kolumnist Harald Martenstein liest im Theaterhaus. Foto: C. Bertelsmann

Egal ob er über Klassenkampf, Krieg oder Köpftücher schreibt – „Zeit“-Autor Harald Martenstein ist immer originell. Und im schlimmsten Fall ist er einfach nur saukomisch. An diesem Donnerstag liest er im Stuttgarter Theaterhaus.

Egal ob er über Klassenkampf, Krieg oder Köpftücher schreibt – „Zeit“-Autor Harald Martenstein ist immer originell. Und im schlimmsten Fall ist er einfach nur saukomisch. An diesem Donnerstag liest er im Stuttgarter Theaterhaus.
 
Stuttgart – Egal ob er über Klassenkampf, Krieg oder Köpftücher schreibt – „Zeit“-Autor Harald Martenstein ist immer originell. Und im schlimmsten Fall ist er einfach nur saukomisch. Am Donnerstag, 24. April, 20.15 Uhr, liest er im Stuttgarter Theaterhaus. Als Gast dabei: StN-Kollege Joe Bauer. -
Herr Martenstein, reden wir übers Schreiben?
Sehr gut, ein Lieblingsthema.
In einer Kolumne schrieben Sie mal, Sie würden immer wieder als Experte befragt, auch zu Dingen, von denen Sie keine Ahnung hätten. Deshalb dachten wir, vom Schreiben wird er eine Ahnung haben.
Ich weiß es nicht so genau. Das Schreiben fällt ja doch immer recht schwer. Wäre man ein Experte, müsste das hopplahopp gehen. Ein Elektroexperte kann ruckzuck eine Steckdose setzen. Aber ich kämpfe oft Stunden mit dem Schreiben. Vor kurzem habe ich wieder einen Text zum Expertenwesen geschrieben, weil RTL bei mir wegen des verschwundenen malaysischen Flugzeugs nachgefragt hatte. Die wollten mich als Terrorexperten haben.
Wie kamen Sie zu der Ehre?
Ich habe mal eine Kolumne über Terrorexperten geschrieben. Wer „Terrorexperte“ googelt, stößt auf meinen Namen. Deshalb wollte RTL mich engagieren. Meinen Text zu dem Thema hatten sie wohl nicht gelesen.
Sind Sie hingegangen?
Nein, ich habe mich nicht mal gemeldet, weil mir das so absurd erschien. Also haben sie einen Luftfahrtexperten geholt, der sagte: „Wenn ein Flugzeug keine Positionsmeldungen mehr schickt, dann ist die Suche schwierig.“ Da habe ich mich geärgert, dass ich nicht hin bin. Diese Auskunft hätte ich ihnen auch geben können.
Über welches diese vier Themen würden Sie am liebsten als Experte schreiben: Energiewende, Gemeinschaftsschule, Orgasmusprobleme, Krise des Kapitalismus?
Da würde ich zwischen der Schule und den Orgasmusproblemen schwanken. Beide Themen gehen jeden an und stoßen folglich auf ein großes Publikumsinteresse. Aber manchmal kann man auch abseitige Sachen machen, von denen man meint, dass sie eigentlich nicht gehen. Ich habe neulich etwas über die Bahn geschrieben, obwohl mich Kollegen gewarnt hatten. Sie sagten, das Thema sei ausgelutscht. Stimmt ja auch. Aber wenn einem dazu halt was einfällt, kann man nichts machen.
Gemeinschaftsschulen und die Orgasmusprobleme unter einen Hut zu bringen, ginge das auch?
Sicher, man kann das verknüpfen. Bei Schreibseminaren vor Jungjournalisten empfehle ich immer, dass man für eine gute Glosse zwei Themen braucht, ein Standbein und ein Spielbein. Um ein Thema geht es anscheinend, das andere schwingt subkutan mit. Ich würde die Gemeinschaftsschule nehmen und den Gemeinschaftsorgasmus durchschimmern lassen.
Ist es anstrengend, als Experte immer eine Meinung haben zu müssen?
Ist es, aber manchmal habe ich eben keine. Im Gegensatz zum Leitartikler darf man als Kolumnist und Glossenschreiben auch mal fassungslos oder wütend sein. Hauptsache, es ist einigermaßen unterhaltsam, was man schreibt.
Das macht Ihre Texte so menschlich. Ist das auch Teil des Erfolgs?
Ich glaube, dass ich relativ ungefiltert das aufschreibe, was ich so denke. Manche Leute haben, glaube ich, Hemmungen, das zu tun, weil sie denken, das sei zu banal oder politisch nicht korrekt. Vielleicht fürchten sie, Ärger zu bekommen oder ausgelacht zu werden. Man darf keine Angst haben, das zu schreiben, was einem durch den Kopf geht. Immerhin schreibt man in dem Moment das, was tausend anderen auch schon durch den Kopf gegangen ist. Keiner von uns ist ja wirklich originell.
Was spricht sonst noch für den Erfolg Ihrer Kolumnen?
Ein wichtiger Faktor ist, dass sie in der „Zeit“ erscheinen. Weil die „Zeit“ nicht so viele radikal subjektive oder humoristische Texte bringt. Harry Rowohlt, der für die „Zeit“ die wunderbare Kolumne „Poo‘s Corner“ geschrieben hat und es manchmal immer noch tut, hat mal sinngemäß gesagt: Wenn ich diese Texte für die „taz“ geschrieben hätte, wären die gar nicht aufgefallen.
Könnte man sagen: Wir leben in meinungsstarken Zeiten. Aber mit den Argumenten hapert es oft.
So pauschal würde ich das nicht sagen. Ich kenne viele Leute, die sehr gut argumentieren können. Aber was sicher stimmt, ist, dass man ständig zu seiner Meinung gefragt wird. Wenn man als Publikum aus einer Veranstaltung hinausströmt, stehen da oft schon Leute, die einem ein Mikrofon hinhalten und einen nach seiner Meinung fragen. Wenn ich aus einem Konzert herauskomme, habe ich meistens noch gar keine Meinung. Das muss sich erst setzen.
Wir sollten noch über die Rolle des Autors als Vorleser und Star reden. Fühlen Sie sich darin wohl?
Ich bin eigentlich deshalb Print-Journalist geworden, statt zum Beispiel Fernsehjournalist, damit ich so was Öffentliches nicht machen muss. Ich habe mich früher immer am wohlsten gefühlt, wenn ich hinten in einem Raum saß und ungestört meine Beobachtungen aufschreiben konnte. Anfangs hatte ich vor Lesungen auch wahnsinniges Lampenfieber. Wenn ich früher was vorlesen musste, hatte ich davor zwei schlechte Tage, an denen ich nichts aß und nur rauchte. Das hat sich zum Glück gelegt, inzwischen macht es mir Spaß.
Denken Sie beim Schreiben manchmal: Den Texte mach ich jetzt für eine Lesung?
Nein. Welche Texte ich vorlese, entscheide ich später. Aber der Produktionsprozess hat sich insofern verändert, als ich meine Kolumnen im Radio auf NDR und im RBB vorlese. Deshalb habe ich beim Schreiben schon im Blick, dass die Texte auch gesprochen werden müssen. Das ändert den Stil. Man achtet mehr auf den Rhythmus, was den Texten mit Sicherheit nicht schadet.
Sie lesen beim Auftritt in Stuttgart auch ein, zwei Texte des StN-Kollegen Joe Bauer. Früher, als Sie bei der Stuttgarter Zeitung gewesen sind, waren sie Konkurrenten.
Konkurrenten, nein. Die Welt ist groß genug für viele Kolumnisten. Ich freue mich sehr darauf – vor allem darauf, dass Joe Bauer was von mir liest. Ich habe ihn vor nicht allzu langer Zeit interviewt, als ich für den „Tagesspiegel“ eine Reportage über das Bahnprojekt S 21 schreiben sollte. Joe hat mich in meinem Verdacht bestärkt, dass S 21 kein glückliches Projekt ist.
Gibt es ein Thema, über das Sie noch nie geschrieben haben?
Hoffe ich doch. Ich will den Job noch ein paar Jahre machen. Da muss ich was in Reserve haben. Aber ich habe wohl über alle Themen schon mal geschrieben, über die ich gern schreibe. Jetzt sind die Themen übrig, über die ich nicht so gern schreibe.
Es wird wahnsinnig viel Aufwand getrieben, um die Menschen zu unterhalten, denken wir nur an Kinoproduktionen oder Computerspiele. Bei Ihnen hat man den Eindruck, Sie vertrauen auf das Wort.
Das Wort reicht aus, um ein Publikum zu gewinnen. Mein Vater war Musiker, er wollte, dass ich ein Instrument lerne, was ich als Jugendlicher verweigert habe. Aber ich glaube, dass ich die Liebe zur Musik beim Schreiben auslebe. Ich mag es, wenn es gut klingt, wenn der Text einen Sound hat.
Also sind Sie im Grunde ein lesender Musiker.
Wenn Sie so wollen. Was mich wirklich stolz macht, ist, wenn ich gefragt werde, ob ich fremde Texte vorlese. In der Uckermark gibt es ein Dorffest. Da wurde ich jetzt gefragt, ob ich Teile aus der Dorfchronik vorlese, die ziemlich skurril ist. Das war wirklich ein toller Antrag, eine Adelung als Vorleser.
Gibt es für Sie ein Leben ohne Schreiben?
Es ist schön, wenn man ein paar Wochen mal nicht schreiben muss. Aber dauerhaft wohl nicht. Ich mach das ja gern.