Mensch und Maschine gehen Hand in Hand: Ein Mann schüttelt auf der Hannover-Messe am Stand des Greifsystem-Herstellers Schunk eine künstliche Hand. Roboter sollen Menschen nicht unbedingt ersetzen, sondern ihnen die Arbeit erleichtern Foto: dpa

Die Verschmelzung von IT-Technik und Maschinen – Industrie 4.0 – ist das Megathema der Hannover-Messe. Deutschland muss aber aufpassen, den Anschluss nicht zu verlieren.

Hannover - Deutschland führend beim Megathema Industrie 4.0? Der Cisco-Manager lacht. „Hier wird nur geredet“, sagt der Mitarbeiter des IT-Riesen aus den USA, der seinen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will. Passiert sei in Deutschland in den letzten Jahren nicht viel. Bei vielen Firmen sei das Thema, das die Industrie in den kommenden Jahren revolutionieren könnte, noch überhaupt nicht angekommen.

Bei einer jüngst von Cisco in Berlin angestoßenen Initiative zu Industrie 4.0 seien von 50 teilnehmenden Firmen nur fünf aus Deutschland gekommen. „Wir haben hier fast keine Ansprechpartner“, sagt er.

Ganz anders hört es sich an, wenn man mit deutschen Verbandsvertretern spricht. Reinhold Festge, Präsident des Maschinenbauverbands VDMA, geht von „nicht weniger als dem Führungsanspruch“ für die deutsche Industrie bei dem Zukunftsthema aus. Deutschland sei DER Akteur bei Industrie 4.0, sagte er jüngst. Und auch sein Pendant beim Elektrotechnik-Verband, Michael Ziesemer, sieht Deutschland „in einer guten Ausgangsposition“.

Bestätigt werden die Optimisten durch eine Reihe von Positivbeispielen. In Homburg hat der Maschinenbauer Bosch-Rexroth eine Pilotlinie zur Ventilproduktion errichtet, die den Gesetzen von Industrie 4.0 folgt. Mit Hilfe von ausgeklügelter Sensorik sind die Abläufe in der Fabrik so erheblich beschleunigt worden. Die Produktivität habe um zehn Prozent zugelegt, sagt Karl Tragl, Vorstandschef von Bosch-Rexroth.

Die Warenbestände hätten um rund 30 Prozent reduziert werden können. Der Augsburger Roboter-Spezialist Kuka wiederum hat einen Roboter entwickelt, der erstmals direkt neben einem Menschen arbeitet. Kommen sich Mensch und Maschine zu nahe, schaltet sich der Automat selbstständig ab und lässt dem Menschen den Vorrang. Laut Kuka soll so die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine verbessert werden. Ähnlich wie bei Bosch geht es auch bei Kuka nicht darum, den Menschen im Arbeitsprozess abzulösen, sondern deren Arbeiten besser zu koordinieren. „Industrie 4.0 soll den Menschen dienen“, sagt Bosch-Rexroth-Chef Tragl. „Die Menschen sollen ihren Job besser machen können.“

Diesen Beispielen entgegen stehen Erkenntnisse aus Studien, die das Desinteresse der deutschen Firmen an der Maschinen-Revolution zu belegen versuchen. Die pessimistischsten Unkenrufer beziffern die Zahl der Industrie-4.0.-Muffel auf 90 Prozent der hiesigen Firmen. Besonders die für den Standort Baden-Württemberg so wichtigen Mittelständler verhalten sich abwartend. Das könnte sich als fatal erweisen.

Zusätzliche Wertschöpfung von rund 80 Milliarden Euro

Die Fraunhofer-Gesellschaft hat errechnet, dass durch Industrie-4.0-Technologien allein für die deutsche Industrie eine zusätzliche Wertschöpfung von rund 80 Milliarden Euro entstehen wird. Die Beratungsfirma Roland Berger rechnet gar mit zusätzlichen Produktivitätsgewinnen von 268 Milliarden Euro bis zum Jahr 2025. Und wieder andere Untersuchungen gehen davon aus, dass das deutsche Wirtschaftswachstum langfristig um zwei Prozentpunkte pro Jahr angekurbelt werden könnte. Gemessen an den derzeitigen Werten wäre das eine glatte Verdopplung. ZVEI-Präsident Ziesemer spricht denn auch von einem „disruptiven Potenzial“ der neuen Technologie. „Unternehmen, die diesen Weg heute nicht einschlagen, sind morgen aus dem Rennen“, sagt er.

Die Antwort, warum die deutsche Wirtschaft trotz langer Diskussion den Weg zu Industrie 4.0 immer noch nicht geschlossen geht, sehen Kritiker in den Strukturen hierzulande. Seit mehreren Jahren versucht eine Allianz aus Verbänden, das Thema grundsätzlich aufzuarbeiten und zukünftige Standards für Fertigungsprozesse zu definieren. Diese Plattform wurde auf der Hannover-Messe durch mehrere Bundesministerien, die IG Metall und einige Konzerne erweitert.

Die USA – der größte Konkurrent der Deutschen – prescht dagegen vor. Vor nur einem Jahr gründeten mehrere IT- und Industrieschwergewichte in Boston das Industrial Internet Consortium (IIC). Sein Ziel ist es, Kooperationen zwischen den Unternehmen zu erleichtern und eine pragmatische Zusammenarbeit zu ermöglichen. Innerhalb kurzer Zeit ist die Zahl der IIC-Mitglieder auf weit über hundert angewachsen – und die Beteiligung der deutschen Unternehmen steigt stetig.

Zuerst stieß Bosch zum IIC hinzu. Mittlerweile sind auch Siemens, Infinion, SAP, der Maschinenbauer Wittenstein sowie die TU Darmstadt und mehrere Fraunhofer-Institute dabei. Bosch ist beim ersten europäischen Feldversuch des Konsortiums gar in einer Schlüsselrolle und macht mit Cisco und anderen Partnern seine Akkuschrauber für die vollvernetzte Produktionswelt fit.

Die deutschen Industrieverbände, die das Thema Industrie 4.0 hierzulande voranbringen sollen, bleiben indes ungerührt. Dass die USA schneller voranschritten als Deutschland, sehe er nicht, sagte ZVEI-Chef Ziesemer kürzlich. Der Wirbel um die US-Industrieinitiative IIC scheine „wenig durch tatsächliche Arbeit und Ergebnisse hinterlegt zu sein“.