Die Digitalisierung verändert unseren Alltag – wie wir einkaufen, arbeiten und uns fortbewegen. Und sie verändert die Unternehmen in unserer Region. Heute: Wie wird das Einkaufen der Zukunft aussehen?

Die nachgemachte Realität

Der Handel verlagert sich immer mehr von der wirklichen Welt ins Internet. Der Handelsverband rechnet damit, dass die Deutschen 2015 insgesamt 43,6 Milliarden Euro im Netz ausgeben. Das Problem ist nur: Die Kunden bleiben auch in Zukunft unterschiedlich geformt, und sie haben zu viele Sinne, die im Internet nicht befriedigt werden können. Manche Menschen sind zu klein für ihr Gewicht. Andere haben zu lange Arme und Beine.

Und fast alle von ihnen machen als Erstes eine Sache mit einem Produkt: Sie befühlen es. Oder riechen daran. Darum gibt es immer mehr technische Lösungen, die versuchen, die Einzigarbeit der Kunden ins Internet zu transportieren – und zum Beispiel den Klamottenkauf zu erleichtern. Das Marktpotenzial dafür ist groß. Nach Angaben des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel haben die Deutschen vergangenes Jahr für keine Produktgruppe so viel ausgegeben wie für Bekleidung (11,8 Millionen Euro).

Die Vermessung des Kunden

Das Problem mit dem Online-Handel ist derzeit: Viele bereuen den Einkauf hinterher. Nach einer Studie von Porsche Consulting sind 40 Prozent der Kunden nach einem Online-Einkauf manchmal oder häufig unzufrieden – und schicken die Ware wieder zurück. Den Einkauf im Laden vor Ort bereuen der Studie zufolge nur neun Prozent der Kunden. Um diesem Problem zu begegnen, experimentieren Händler mit sogenannten virtuellen Umkleidekabinen.

Sie setzen dabei beispielsweise auf das Berliner Start-up-Unternehmen Upcload. Dieses hat eine Technologie entwickelt, mit der Kunden ihren Körper vermessen können. Der Nutzer legt ein Konto an, das ihm bei jedem Händler, der das System benutzt,die passenden Kleidungsstücke empfiehlt. Ins System kommen die Daten entweder über eine Webcam, oder der Nutzer gibt sie selbst ein. „Die Technologie steckt allerdings noch in den Kinderschuhen“, sagt eine Zalando-Sprecherin. Zalando und der Versandhändler Otto haben bereits mit der Technologie experimentiert. „Wir haben das Projekt wieder eingestellt“, so die Zalando-Sprecherin. „Die Technik war noch nicht ausgereift.“

Die verschiedenen Kanäle

Den Händlern ist die Tatsache, dass die Realität nicht ohne weiteres ins Internet übertragen werden kann, ein Dorn im Auge. Denn das führt zu hohen Retourenquoten – und die sind teuer. Im Bereich Mode verzeichnen Internethändler für 2014 eine Retourenquote von über 36,1 Prozent. „Wir beobachten, dass die Händler zunehmend auf Konzepte setzen, die auf der Verschmelzung zwischen Realität und Internet basieren“, sagt Stefan Hertel vom Handelsverband unserer Zeitung. Multichannel heißt das Zauberwort. Es bedeutet, dass die sogenannten stationären Handler in der Fußgängerzone auch im Internet aktiv sind. So kann sich der Kunde im Internet etwas bestellen und etwa nach der Arbeit auf dem Nachhauseweg in der Filiale seines Vertrauens abholen.

Gleichzeitig eröffnen auch immer mehr reine Online-Händler stationäre Läden. In diesem Zusammenhang werden auch Konzepte wie die sogenannte Beacon-Technologie immer interessanter für die Händler. Durch diese ist es möglich, dass das Smartphone den Kunden durch die reale Einkaufswelt navigiert und ihm beispielsweise auf der Basis seines bisherigen Einkaufsverhaltens Produkte empfiehlt oder ihn auf Sonderangebote aufmerksam macht. Die Anwendung weiß dann schon vor dem Käufer, was der Kunde haben will. In Deutschland experimentiert der Müsli-Händler Mymuesli bereits in seiner Münchner-Filiale mit der Technologie. Außerdem auf dem Vormarsch sind mobile Bezahlmodelle. Edeka will es den Kunden bis zum Ende des Jahres ermöglichen, an den Kassen von allen mehr als 4000 Filialen mit Hilfe einer Anwendung auf dem Smartphone die Einkäufe zu bezahlen.

Die verödenden Innenstädte

Das Kölner Institut für Handelsforschung (IFH) rechnet damit, dass sich die Zahl der stationären Läden bis 2020 um bis zu 58 000 Geschäfte reduzieren wird. „Das stellt für die deutschen Innenstädte ein ernsthaftes Problem dar“, sagt Andreas Kaapke, Professor für Betriebswirtschaftslehre und Handel an der Dualen Hochschule in Stuttgart. „Man muss sich eine Innenstadt wie ein Gebiss vorstellen“, sagt er. „Ein Gebiss ist nur attraktiv, wenn alle Zähne vorhanden sind.“

Fallen dagegen immer mehr Läden weg, sinkt der Anreiz der Kunden, sich überhaupt in die Innenstädte zu begeben, was weitere Insolvenzen nach sich zieht. Das gehe zulasten der Nahversorgung, die in einer alternden Gesellschaft von zentraler Bedeutung sei. Schon jetzt haben 37 Prozent der Deutschen ihre Fahrten in die Innenstädte reduziert, weil sie mehr online kaufen. Um einer Verödung der Innenstädte entgegenzuwirken, hat das Bundeswirtschaftsministerium die Dialogplattform Einzelhandel ins Leben gerufen. Dort arbeiten Experten an neuen Perspektiven für den stationären Handel.

Der digitale Mitarbeiter

In Deutschland arbeiten drei Millionen Menschen im Einzelhandel. In Baden-Württemberg sind es rund 220 000. „Sollte sich die Digitalisierung im Handel ungebremst fortsetzen, werden diese Menschen früher oder später nicht mehr im Laden stehen, sondern in riesigen Logistikzentren“, sagt Arbeitsmarktforscherin Sandra Siebenhüter. Dort erhielten die Mitarbeiter ihre Aufträge häufig über eine Art Computer, den sie direkt am Leib tragen.

„Es besteht die Gefahr, dass so künftig auch die Leistungsfähigkeit von Mitarbeitern gemessen wird, so dass diese nicht mehr nach tarifvertraglichen Regelungen bezahlt werden, sondern danach, wie viel sie in welcher Zeit schaffen.“ In manchen Logistikzentren sei die Arbeit in den vergangenen Jahre so vereinfacht worden, dass keine Deutschkenntnisse mehr erforderlich seien, um sie auszuführen.