Je älter, desto besser: Handball-Nationaltorwart Carsten Lichtlein Foto: dpa

Ohne zu murren setzte sich Carsten Lichtlein jahrelang auf die Bank oder die Tribüne. Jetzt spielt er bei der WM in Katar das Turnier seines Lebens und setzt die Tradition deutscher Weltklassekeeper fort. An diesem Mittwoch (16.30 Uhr/Sky) im Viertelfinale gegen Katar kommt es zum Duell mit zwei Top-Torhütern mit serbischen Wurzeln.

Doha - Am Morgen nach seinem sagenhaften Auftritt beim 23:16 gegen Ägypten war alles wie immer. Carsten Lichtlein saß am Pool des deutschen Mannschaftshotels in Doha und trank genüsslich seinen Kaffee. Eine, zwei, drei Tassen – Teammanager Oliver Roggisch spricht sogar von 18 Tassen. Ob Lichtleins langjähriger Zimmerkollege nun leicht übertrieben hat oder nicht, ändert wenig: Der hohe Koffein-Konsum scheint zu wirken. Carsten Lichtlein hält bei dieser WM überragend.

Dass der gebürtige Würzburger mit 34 Jahren noch so groß rauskommt, ist das Resultat seiner unfassbaren Geduld, des Vertrauens des neuen Bundestrainers Dagur Sigurdsson – und eines Vereinswechsels. „Seit er vor zwei Jahren zum VfL Gummersbach gegangen ist, hat er einen Qualitätssprung gemacht“, sagt der frühere Nationaltorwart Andreas „Hexer“ Thiel und fügt hinzu: „Für Carsten freut es mich ganz besonders, weil er über zehn Jahre lang für Deutschland nur der treue Husar war.“

Lichtlein hat sich nie beschwert. Obwohl ihm immer wieder andere Torhüter vorgezogen wurden: erst Henning Fritz und Christian Ramota, später Johannes Bitter und Silvio Heinevetter. Man konnte Lichtlein auch Diener der Mannschaft nennen. Seine Aktivitäten beschränkten sich meist darauf, der Nummer eins Trost oder Lob zu spenden, die Pulle Wasser und das Handtuch zu reichen. Lichtlein war mehr Maskottchen als Handballtorwart.

Plötzlich ist er der Hauptdarsteller. Auch im Viertelfinale an diesem Mittwoch (16.30 Uhr/Sky) gegen Katar kann er zum entscheidenden Faktor werden. „Vielleicht schlägt im Laufe des Spiels aber auch die große Stunde von Silvio Heinevetter“, erinnert Thiel an die Tatsache, dass Deutschland zwei gute Torhüter hat. Es ist ein Duo der Gegensätze – auf und neben dem Feld. Zwischen den Pfosten profitiert der 2,03-m-Hüne Lichtlein von seiner Spannweite. Er hat ein ruhiges Stellungsspiel, bewegt sich erst spät, dann aber blitzartig. „Carsten macht intuitiv vieles richtig. Er antizipiert gut. Das bringt die Erfahrung mit sich“, sagt Thiel.

Vom neun Zentimeter kleineren Heinevetter (30) kommen eher unorthodoxe, spektakuläre Flugeinlagen – und forsche Töne. Wenn das nicht reicht, greift er auch mal zu weniger sportlichen Mitteln: Er wird dann aufbrausend, meckert, rempelt, provoziert. Der prominente Simone-Thomalla-Freund bringt den Glamourfaktor ins Team. Lichtlein, der zehn Stunden in der Woche als Steuerfachangestellter arbeitet, ist der Gegenentwurf: still, unaufgeregt, immer loyal. „Wir haben so gut wie nichts gemeinsam, aber wir verstehen uns gut“, sagt Heinevetter.

Nun fiebern beide dem Duell mit zwei Weltklassetorhütern mit serbischen Wurzeln entgegen: Danijel Saric (37/zuletzt FC Barcelona) und Goran Stojanovic (37/früher Rhein-Neckar Löwen und VfL Pfullingen) wechseln sich im Tor von Katar ab. „Sie sind gut und vor allem bei Würfen von außen Raketen, aber unsere sind besser“, behauptet Thiel. Woher die Tradition großer deutscher Handballtorhüter kommt? Andreas Thiel muss lange überlegen: „Vielleicht liegt es an der großen Auswahlmöglichkeit. Der Handball ist in Deutschland in sehr vielen kleinen Vereinen fest verankert“, sagt er, „außerdem gab und gibt es für den Nachwuchs immer prominente Vorbilder.“

Was er nicht erwähnt, ist die sehr gute Trainingsmethodik im Land. Oft kümmern sich in den Clubs Spezialisten um die Technik der Keeper. Einen Leitfaden hat Thiel selbst gemeinsam mit Torwartkollege Stefan Hecker herausgegeben: 1999 erschien das Buch „Halten wie wir“. Allerdings ist der 54-Jährige nicht sicher, ob das Topniveau gehalten werden kann. „Hinter Lichtlein, Heinevetter und unserem dritten WM-Keeper Andreas Wolff sehe ich wenig junge Talente nachkommen“, gibt Thiel zu bedenken.

Doch das ist Zukunftsmusik. Zunächst zählt nur eines: der Sieg im Viertelfinale gegen Katar. „Wir gewinnen das Ding“, prognostiziert Thiel. Und danach? „Dann kann das Team die WM genießen.“ Und mit einem ehemaligen Maskottchen als Hauptdarsteller vielleicht sogar den Titel holen.