Hat noch viel vor in seiner Karriere: Handballer Michael Kraus Foto: Baumann

Er hat viele Erfolge gefeiert – und dennoch gilt Michael „Mimi“ Kraus als schlampiges Genie. Der Göppinger Spielmacher gewährt Einblicke in sein Seelenleben.

Stuttgart - Herr Kraus, Sie strahlen ja richtig!
Ja, es geht mir bis auf meine Oberschenkelprobleme derzeit richtig gut. Und sogar pünktlich bin ich (schaut auf die Uhr).
Der Schwabe wird mit 40 „gscheid“, heißt es – und Michael Kraus als Ehemann und Vater mit 31 Jahren endlich erwachsen?
Heiraten und Vater zu werden, das sind Meilensteine im Leben. Meine zwei Prinzessinnen haben mein Leben total verändert.
In welcher Form?
Ich habe jetzt weniger Schlaf (lacht). Nein, im Ernst: Wenn ich überlege, wie ich mein Leben früher gestaltet habe und was für Prioritäten ich gesetzt habe . . .
. . . dann kommen Sie zu der Erkenntnis . . .
. . . dass einen so ein kleiner Wonneproppen, der ohne einen nicht existieren könnte, über vieles nachdenken lässt. Ich weiß jetzt, was es heißt, Verantwortung zu übernehmen.
Wie wirkt sich das auf Ihren Beruf aus?
Seit der Geburt vor gut sechs Wochen bin ich im Kopf frei. Dieses Hochgefühl treibt mich an und gibt mir enorme Energie. Ich weiß jetzt, dass ich nicht nur für mich Handball spiele, sondern für die ganze Familie.
Der Hallodri-Mimi war einmal?
Ich kann Ihnen sagen, dass es noch ganz andere Hallodris in der Bundesliga gibt.
Wen denn?
Ich werde keine Namen nennen und will auch gar nicht ablenken: Ich habe Fehler gemacht, das weiß ich selbst am besten. Aber ich bin keiner, der sich jetzt pausenlos mit der Vergangenheit beschäftigt.
Aber einer, der seine Lehren gezogen hat?
Auf jeden Fall. Ich habe einen großen Erfahrungsschatz, den ich auch an die jungen Spieler in unserer Mannschaft, wie zum Beispiel, Marcel Schiller gerne weitergebe.
Fragen Sie sich manchmal, was mit einem solideren Lebenswandel für Sie möglich gewesen wäre?
Das habe ich mir tatsächlich schon oft überlegt. Klar bin ich Weltmeister, deutscher Meister, EHF-Cup- und Champions-League-Sieger geworden, aber wenn ich nicht so viele Flausen im Kopf gehabt hätte, wären bestimmt noch ein paar Titel mehr auf meinem Konto. Ganz sicher sogar.
Fühlen Sie sich als sportlich Unvollendeter?
(Überlegt) In gewisser Weise verstehe ich, dass die Leute erwarten, dass ich mein Potenzial immer abrufe. Doch bei aller Kritik muss man auch eines sehen: Ein Mimi Kraus polarisiert total. Egal, was ich anstelle, bei mir wird mit zehn Augen draufgeschaut. Bei anderen Spielern wird alles nicht so extrem aufgebauscht wie bei mir.
Zuletzt gab es Schlagzeilen, weil Sie drei Dopingtests verpasst haben. Stand Ihre Existenz auf dem Spiel?
Ja – wenn ich tatsächlich zwei Jahre gesperrt worden wäre.
Sie wurden freigesprochen, weil in einem Fall weder Sie noch der Kontrolleur die Klingel an Ihrem Haus gehört haben. Dagegen hat die Nationale Anti-Doping-Agentur Einspruch eingelegt. Fürchten Sie die anstehende Verhandlung vor dem neutralen Schiedsgericht?
Nein. Mein Anwalt und ich sind zuversichtlich, dass das Urteil Bestand haben wird, da wir beide der Meinung sind, dass es das richtige Urteil ist.
Was wollen Sie in Ihrer Karriere noch erreichen?
Ich will Titel gewinnen – mit Frisch Auf! Einen großen Erfolg mit meinem Heimatverein zu erreichen, das ist mein innigster Wunsch.
Die deutsche Meisterschaft wird allerdings schwer zu holen sein.
Stimmt. Es geht am ehesten über den DHB-Pokal oder über den Europapokal-Wettbewerb, für den wir uns wieder qualifizieren wollen.
Schon in diesem Jahr?
Ich will jetzt keine Parolen raushauen und den Druck ins Unermessliche erhöhen. Noch bleibt es beim Saisonziel, unter die ersten zehn zu kommen. Wenn wir weiter so stark spielen wie am Mittwoch in der zweiten Halbzeit in Balingen und wir bis zum Jahresende entsprechend punkten, wäre es übertriebenes Tiefstapeln, nicht höhere Ziele auszugeben. Unsere Mannschaft hat das Potenzial, international zu spielen.
Warum spielt Frisch Auf insgesamt erfolgreicher als in der vergangenen Saison?
Das ist der Magnus-Andersson-Effekt. Als sein Vorgänger Velimir Petkovic nach Göppingen kam, hat er mit der Mannschaft auch für Furore gesorgt.
Also ist es nur eine Frage der Zeit, bis der Andersson-Effekt verpufft?
Das will ich damit nicht sagen. Unser Trainer macht eine klasse Arbeit. Er ist ein gewiefter Taktiker, kommuniziert viel, wechselt viel durch und gibt jedem Spieler das Gefühl, wichtig zu sein. Ich traue ihm zu, in Göppingen eine neue Ära zu prägen.
Warum reicht es vor allem gegen die ganz Großen der Liga nicht?
Wir haben den Anspruch, auch den THW Kiel und die SG Flensburg-Handewitt zu schlagen. Dadurch war in diesen Spielen die Anspannung zu groß, wir waren übermotiviert und unkonzentriert. Aber wenn wir die Clubs von Platz vier abwärts schlagen können, dann ist das auch okay.
Zuletzt gelang auch das nicht. Beim TuS N-Lübbecke und gegen die MT Melsungen gab es überraschende Niederlagen. Warum?
Wir hatten in diesen Spielen einen Durchhänger. Auch weil uns durch die Verletzungen von Daniel Fontaine und mir im Rückraum etwas die Alternativen fehlten. Mit unserem 30:24 in Balingen haben wir wieder die Kurve nach oben bekommen.
Derzeit sind Sie Nationalspieler im Wartestand. Haben Sie auch noch Ziele mit der Nationalmannschaft?
Natürlich. Mein ganz großes persönliches Ziel ist es, bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro dabei zu sein. Kurzfristig möchte ich bei der WM im kommenden Januar in Katar am Ball sein. Ich bin zu 100 Prozent motiviert. Wenn ich meine Oberschenkelprobleme auskuriert habe, bin ich sicher, dass ich dem Team helfen kann. Alles Weitere liegt am Bundestrainer.
Gibt es Signale?
Nein. Ich bin im erweiterten 28er-Kader. Dagur Sigurdsson telefoniert regelmäßig mit Magnus Andersson. Mal schauen, was kommt.
Was ist bei der WM für Deutschland drin?
Wenn es gelingt, Konstanz in die Leistungen reinzubringen, sehr viel.
Auch ein Sprung ins Halbfinale?
Warum nicht? Das Team hat das Zeug fürs Halbfinale. Deutschland ist eine Turniermannschaft.
Fehlt es nicht an Ausnahmekönnern im Rückraum, die ein Spiel entscheiden können?
Das würde ich nicht sagen. Nehmen wir Steffen Fäth. Wenn der Junge mal über einen längeren Zeitraum verletzungsfrei bleibt, ist er eine Waffe. Ihn würde ich gerne bei uns in Göppingen sehen (lacht).
Jetzt geht es mit Frisch Auf aber erst mal ohne ihn zum Bundesliga-Derby nach Ludwigsburg gegen die SG BBM Bietigheim.
Ich liebe Derbys. Das sind für mich Saisonhöhepunkte. Leider konnte ich am Mittwoch in Balingen nicht spielen. Es würde mich sehr ärgern, wenn ich aufgrund meiner Verletzung nun auch am Samstag gegen Bietigheim nicht am Ball sein könnte. Unabhängig davon, hoffe ich in der nächsten Saison auf ein weiteres Nachbarschaftsduell: Der TV Bittenfeld hat ganz gute Karten, den Sprung nach oben zu schaffen.
Warum sind die Württemberger so stark?
Das geht auf die Pionierarbeit des ehemaligen Landestrainers Kurt Reusch zurück. Er hat eine tolle Basis gelegt.
Wollen Sie nach Ihrer Karriere auch mal Trainer werden?
Ein guter Spieler ist noch lange kein guter Trainer. Ich werde dem Handball immer verbunden bleiben. Vielleicht eher als Manager. Im neuen Jahr beginne ich das Fernstudium internationales Business-Management. Aber das Laufbahnende ist noch weit weg.
Wie lange wollen Sie noch spielen?
Solange ich morgens aufstehen kann, die Treppe unfallfrei runterkomme und die Mannschaft mich vermisst. Wenn es heißt, den schleppen wir noch mit, hänge ich die Handballschuhe lieber an den Nagel.