Fällt acht Wochen wegen eines Muskelbündelrisses aus: Kapitän Steffen Weinhold Foto: dpa

Für die Rückraumasse Steffen Weinhold und Christian Dissinger ist die EM gelaufen. Das trift die deutschen Handballer vor dem Spiel gegen Dänemark (Mittwoch, 18.15 Uhr/ARD) hart und heizt die Diskussionen zum Thema Überbelastung an.

Breslau/Stuttgart - So leicht bringt Dagur Sigurdsson nichts aus der Fassung. Der Bundestrainer strahlt eigentlich in jeder Lebenslage Ruhe und Gelassenheit aus. Am Montag war dem Isländer allerdings die Bestürzung ins Gesicht geschrieben. Kapitän Steffen Weinhold und Torjäger Christian Dissinger fallen beide wegen Adduktorenverletzungen für den Rest der EM aus.

„Das ist ein absoluter Schock und ziemlich bitter für uns“, sagte Sigurdsson mit aschfahlem Gesicht und sprach mit Blick auf das „Endspiel“ ums Halbfinale gegen die Dänen nun von einer „Riesenaufgabe“. Auf solch kurzfristige Ausfälle könne man sich nicht vorbereiten. Und doch blieb der 42-Jährige seiner Linie treu. Trotz angeknacksten Optimismus klagte er nicht, er jammerte nicht, er blickte nach vorne: „Wir werden kämpfen bis zum Umfallen und nicht aufgeben.“

Auch Vizepräsident Bob Hanning gab sich nach den Ausfällen der Stammkräfte fünf und sechs Mühe, die Enttäuschung abzuschütteln: „Natürlich tut es weh, wenn der Kapitän in einer so wichtigen Phase von Bord geht, aber in jedem Schicksal liegt eine Chance.“ Teammanager Oliver Roggisch ist sich jedenfalls zu 100 Prozent sicher: „Diese 1-B-Mannschaft wird sich zerreißen.“

Nachrücker Häfner besitzt Qualität und Nervenstärke

Jetzt erst recht lautet das Motto. Zumal auch die Nachrücker Julius Kühn (VfL Gummersbach) und vor allem Kai Häfner (TSV Hannover-Burgdorf) viel Qualität mitbringen. Der gebürtige Gmünder Häfner ist bester Feldtorschütze der Bundesliga. Auch in seinen Stationen beim TV Bittenfeld, Frisch Auf Göppingen und beim HBW Balingen-Weilstetten hat der nervenstarke Linkshänder bewiesen, dass er gerade in kniffligen Situationen Verantwortung übernimmt. „Ich bin bereit und werde alles geben, um der Mannschaft zu helfen“, kündigte Häfner nach seiner Ankunft am Montag im Teamhotel in Breslau an.

Zu wenig Zeit, um durch Athletiktraining Verletzungen vorzubeugen

Unterdessen gehen die Diskussionen um die Überbelastung der Spieler weiter. Jahr für Jahr fehlen in der Vollkontakt-Sportart Handball bei den großen Turnieren hoch beanspruchte Akteure, weil der Körper nicht mehr mitspielt. Den Spielern aus der Bundesliga bleibt keine Zeit zum Verschnaufen. „Das ist ein Riesenproblem. Die Profis sind überspielt. Es bleibt keine Zeit, durch Kraft- oder Athletikübungen Trainingsreize zu setzen, um Verletzungen vorzubeugen“, sagt Dieter Bubeck, promovierter Trainingswissenschaftler an der Uni Stuttgart und Athletikcoach bei Bundesligist Frisch Auf Göppingen. „Folge sind muskuläre Dysbalancen, die Leistungsfähigkeit geht nach unten, die Anfälligkeit für Blessuren steigt.“

So ist es kein Zufall, dass Stars der Handballbranche in Ligen wechseln, in denen drei Viertel der Punktspiele im Vorbeigehen gewonnen werden. Christian Zeitz spielt in Ungarn, Tobias Reichmann wechselte ebenfalls 2014 nach Polen, und Filip Jicha verdient seit August 2015 sein Geld nicht mehr beim THW Kiel, sondern in Spanien beim FC Barcelona. „Durch die geringere Belastung in der polnischen Liga kann ich zwei, drei Jahre länger Handball spielen und damit länger Geld verdienen“, sagt der aktuelle Nationalspieler Reichmann ganz offen.

Reduzierung der Bundesliga auf 16 Teams würde helfen

Mögliche Lösungen werden nun wieder verschärft diskutiert. Die Reduzierung der Bundesliga von 18 auf 16 Teams, und damit vier Spieltage pro Saison weniger, ist die am ehesten umzusetzende Variante. Das bringt Bundestrainer Sigurdsson bei der laufenden EM in Polen nicht weiter. Aber bestimmt mit Blick auf das Fernziel Olympia-Gold 2020.