Architekt eines erfolgreichen Teams: Bundestrainer Dagur Sigurdsson gibt bei den deutschen Handballern den Ton an. Foto: dpa

Egal wie die EM auch ausgehen wird: Die deutschen Handballer haben sich toll geschlagen. Großen Anteil daran hat der Bundestrainer. „Dagur Sigurdsson“, sagt DHB-Vizepräsident Bob Hanning, „ist der Schlüssel zu unserem Erfolg.“

Breslau - Dagur Sigurdsson trat sein Amt als Trainer der deutschen Handballer an, als die Auswahl am Boden lag. Nacheinander hatte sie die Qualifikation für die Olympischen Spiele, die EM sowie die WM verpasst. Vermutlich brauchte es in einer solchen Situation genau so einen Typen auf der Bank, wie der Isländer einer ist. In den eineinhalb Jahren seit der Jobübernahme hat er eine Mannschaft geformt, die mit zahlreichen Talenten gespickt ist. Und die völlig unerschrocken an vor ihr liegende Aufgaben herangeht.

Das ist beeindruckend. Oder wie es Bob Hanning, Vizepräsident im Deutschen Handball-Bund (DHB), vor dem entscheidenden EM-Hauptrundenspiel an diesem Mittwoch (18.15 Uhr/ARD) gegen Dänemark ausdrückt: „Dagur ist derjenige, der das Schiff sehr, sehr gut lenkt. Rein sportlich sind wir auf dem Weg von einem großen Kahn hin zu einem Schnellboot.“

Schön gesagt, aber was macht den Menschen Sigurdsson aus? Und was den Trainer? Ein Blick auf seine fünf größten Stärken.

Führungsstärke

Erik Schmidt macht es mit einem Satz deutlich. „Wir folgen Dagur Sigurdsson blind“, sagt der Kreisläufer vom TSV Hannover-Burgdorf. Es ist das maximale Ziel, das ein Trainer erreichen kann. Wenn die Spieler die Vorgaben nicht hinterfragen, sondern bedingungslos leben, kann ein Coach seine Idee vom Spiel bestmöglich umsetzen. Es geht keine Energie verloren.

Der Grund für das grenzenlose Vertrauen der einzelnen Akteure: In den zurückliegenden anderthalb Jahren gab es etliche Situationen, in denen Umstellungen von Sigurdsson sofort gegriffen haben. Zuletzt, als die Deutschen bei der EM gegen Schweden nach der Pause offensiver deckten und eine schon verloren geglaubte Partie doch noch drehten. „Man braucht immer einen Plan B und C“, sagt Sigurdsson, der seine Co-Trainer Axel Kromer (Mössingen) und Alexander Haase (Berlin) voll einbindet: „Sechs Augen sehen mehr als zwei.“

Als Dagur Sigurdsson den Job als Bundestrainer übernahm, überraschte er gleich bei der Nominierung zu den ersten Länderspielen. Akteure wie Erik Schmidt oder Andreas Wolff tauchten zum ersten Mal im Kreis der Nationalmannschaft auf. Doch Sigurdsson geht es nie um Namen, sondern immer darum, seine Idee vom Handball umzusetzen. Dazu benötigt der Isländer große und körperlich starke Spieler im Innenblock, die variabel sind. Aus dem unbekannten Erik Schmidt machte er einen gestandenen Nationalspieler, Andreas Wolff ist seit der EM ein Weltklasse-Torwart.

Auch Jannik Kohlbacher oder Finn Lemke wurden überraschend nominiert und sind jetzt feste Größen. Andererseits verzichtete Sigurdsson überraschend auf Silvio Heinevetter – der Torwart, der in Berlin unter ihm spielte, ist einer der Stars im deutschen Handball. Dem Bundestrainer ist das egal: „Keiner ist größer als die Mannschaft. Manchmal trifft das Leute, die gute Freunde sind und lange bei mir im Team waren.“

Nach außen schroff und unnahbar

Es ist auffällig, dass viele Isländer nach außen schroff und unnahbar wirken. Dagur Sigurdsson bildet da keine Ausnahme, denn er antwortet meist in kurzen Sätzen. Er lacht nicht befreiend, sondern er lächelt mehr nach innen. Das wirkt zugeknöpft – und er ist es auch ein Stück weit.

Ganz ähnlich tritt er auch den Spielern gegenüber, lange Ansprachen gibt es nicht, dafür kurze und prägnante Dinge, die er einfordert. Der Vorteil für Sigurdsson: Die Spieler hängen an seinen Lippen, weil sie wissen, dass nur wenig gesprochen wird. Das macht jeden Satz noch wirkungsvoller. Notfalls kann es aber auch mal laut werden. „Und wenn Dagur auf den Tisch haut“, sagt Rechtsaußen Tobias Reichmann, „dann kann der Tisch auch kaputt gehen.“

Dagur Sigurdsson trat seinen Job als Bundestrainer mit der Überzeugung an, eine Weltklasse-Mannschaft formen zu können. Zu keinem Zeitpunkt wich er von dieser Meinung ab, selbst die Ausfälle von gleich vier wichtigen Stammspielern vor der EM wischte er lapidar beiseite. Sein Credo: Jeder deutsche Handballer, der in der Bundesliga spielt, ist stark genug für die Aufgaben in der Nationalmannschaft. Dieses Vertrauen gibt er an seine Akteure weiter – und es kommt bei ihnen an, weil es nicht gekünstelt ist, sondern pure Überzeugung. Daraus entwickelt Sigurdsson eine enorme Gelassenheit, die selten ist und deshalb als ein Alleinstellungsmerkmal des Isländers heraussticht.

„Er gehört zu den besten fünf Trainern der Welt“

Ein ausgeprägtes Fachwissen benötigt jeder Trainer auf diesem Niveau. Sigurdsson hat allerdings schon nachgewiesen, dass er vielen seiner Kollegen überlegen ist. Taktisch wird er so gut wie nie überrascht, und wenn es doch mal knifflig wird, dann findet er im Laufe einer Partie stets ein wirkungsvolles Gegenmittel.

Er schreckt auch nicht davor zurück, während eines Spiels kurzfristig Dinge zu verändern. Und er hat den Mut, in den entscheidenden Phasen unerwartete Entscheidungen zu treffen.

Der Erfolg gibt ihm oft recht. Kapitän Steffen Weinhold lobt: „Er gehört zu den besten fünf Trainern der Welt.“