Stuttgart bietet viele Anlaufstationen für Frauen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind. Foto: dpa

Was tun bei häuslicher Gewalt? Wie kann man sich schützen? Wann hilft eine Anzeige? Wann ist eine Trennung sinnvoll? Diese Fragen beantwortet die Fraueninterventionsstelle.

Stuttgart - Häusliche Gewalt war früher ein Tabuthema. Doch inzwischen zeigen immer mehr Opfer ihre Täter an. Damit durchbrechen sie den Gewaltkreislauf. Allein in diesem Jahr wurden 545 Fälle häuslicher Gewalt gemeldet. 312 Täter wurden der Wohnung verwiesen, 146 Anzeigen folgten. Negative Begleiterscheinung: 552 Kinder waren mit betroffen. Jene Kinder sind nach Ansicht von Experten stark gefährdet, später selbst in eine Opfer- oder Täterrolle zu rutschen.

Auch der Gesetzgeber hat darauf reagiert. Seit 2002 gibt es das Gewaltschutzgesetz. „Doch Stuttgart hat sich schon vor diesem Gesetz auf den Weg gemacht“, sagt Sozialbürgermeisterin Isabell Fezer. Denn bereits ein Jahr vor der Einführung des Gesetztes nahm die Stuttgarter Ordnungspartnerschaft gegen häusliche Gewalt (Stop) ihre Arbeit auf. Ziel war, Polizei, Jugendamt, Sozialdienst, Beratungsstellen, Kinderschutzzentrum und Gerichtsbarkeit zu vernetzen.

Ursula Matschke leitet die Abteilung für individuelle Chancengleichheit von Männern und Frauen seit zehn Jahren und kennt die vielen Geschichten und Schicksale von Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt sind. Immer wieder hört sie, dass die Opfer, die sich lang andauernd häuslicher Gewalt ausgesetzt sehen, nicht mehr in der Lage sind, sich aus diesem Gewaltkreislauf zu befreien. Deshalb muss dieser Kreislauf in der Regel von außen unterbrochen werden. Manchmal reicht es, den Betroffenen die Möglichkeit zu bieten, Hilfen in Anspruch zu nehmen. Geleistet wird die Arbeit der Gewaltintervention von der Fraueninterventionsstelle (Fis), die sowohl vom Stuttgarter Sozialamt als auch vom Verein Frauen helfen Frauen getragen wird. „Das Plus der Fis ist, dass sie den Betroffenen schnelle Hilfe vermitteln kann“, sagt Ursula Matschke.

„Bei uns stehen die Interessen der Frau und ihr individuelles Erleben im Mittelpunkt“

Damit nicht genug. In Zukunft will die Fis mehr leisten. Vorbeugung heißt das Zauberwort. Zwar wird Frauen weiterhin ein geschützter Raum geboten, doch die Hilfe zur Selbsthilfe soll verstärkt werden. „Bei uns stehen die Interessen der Frau und ihr individuelles Erleben im Mittelpunkt“, sagt Brigitte Leypold von der Fis. Sie hat ein ganz klares Ziel: Frauen sollen nach der Beratung wieder selbstbestimmt handeln können. Mit anderen Worten: Es geht um Hilfe zur Selbsthilfe. In der Beratungen werden daher Strategien erarbeitet, die helfen, aus dieser Gewaltspirale auszubrechen.

Doch gerade wenn Kinder mit im Spiel sind, sind diesem Befreiungsakt Grenzen gesetzt. Zwar sichert es betroffenen Frauen Abstand vom Täter zu, doch es betrifft nicht das Umgangsrecht der Väter. Jenes wird allzu oft instrumentalisiert, um über diesen Umweg an die Opfer heranzukommen. Das sogenannte Beschleunigungsgebot, durch welches das Umgangsrecht innerhalb eines Monats festzusetzen ist, weicht dabei das Gewaltschutzgesetz auf. „Opfer von häuslicher Gewalt brauchen mehr Zeit, um wichtige Entscheidungen wie den Umgang mit dem Vater zu treffen“, sagt Rechtsanwältin Marina Walz-Hildenbrand, die sich auf Fälle von häuslicher Gewalt spezialisiert hat.

Bei Vergleichen komme es nicht zur strafrechtlichen Sanktion

Ein weiteres Problem sieht die Anwältin in der Bestrafung von Verstößen gegen Annäherungsverbote: „Oft gibt es in Verfahren, in denen häusliche Gewalt eine Rolle spielt, keine Beschlüsse, sondern nur Vergleiche.“ Dabei seien nur gerichtliche Beschlüsse strafrechtlich verfolgbar, bei Vergleichen komme es nicht zur strafrechtlichen Sanktion, sondern zu lange währenden Verfahren. „Das Spannungsfeld zwischen Umgangsrecht und Gewaltschutzgesetz ist immer da“, sagt Walz-Hildenbrandt. Ihr Vorschlag lautet daher: „Ein genaueres Betrachten der Einzelfälle ohne Zeitdruck könnte eine Lösung sein.“

Trotz der gesetzlichen Lücken „sind wir in Stuttgart im Kampf gegen häusliche Gewalt gut aufgestellt“, sagt Isabel Fezer und verweist auf zahlreiche Institutionen, die Hilfe anbieten: zwei Kinderschutzzentren, Interventionsstellen für Männer und Frauen, das Stop-Projekt oder das Fair-Streit-Training für Paare in Gewaltbeziehungen. Alle diese Anlaufstellen böten Strategien an, um den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen.