Der Mitarbeiter einer US-Agentur arbeitet an der Abwehr von Cyberattacken. Foto: AP

Der Verfassungsschutz geht davon aus, dass Hacker den Bundestagswahlkampf beeinflussen wollen. Der Verdacht fällt auf Russland.

Berlin - In Berlin wächst die Sorge, dass durch Cyberangriffe und gezielte Desinformationen Einfluss auf den bevorstehenden Wahlkampf und den Ausgang der nächsten Bundestagswahl genommen werden könnte. Jetzt steht außerdem der Verdacht im Raum, dass Russland hinter der Veröffentlichung von mehr als 2400 Geheimdokumenten aus dem NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags steckt, die die Enthüllungsplattform Wikileaks vor zwei Wochen ins Internet gestellt hat. Das geht aus einem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (FAS) hervor, die sich auf Informationen namentlich nicht genannter, hoher deutscher Sicherheitsbeamter beruft. „Es gibt eine hohe Plausibilität, dass die Akten aus dem Cyberangriff Russlands auf den Bundestag im Frühjahr 2015 stammen“, so das von der FAS überlieferte Zitat. Allerdings stützt sich der Kronzeuge des Blatts nicht auf gesicherte Erkenntnisse; er zieht seine Schlussfolgerung aus der Tatsache, dass Wikileaks lediglich Dokumente, die aus der Zeit zwischen Frühjahr 2014 und Januar 2015 stammen, veröffentlicht hat. Geheimakten, die später digitalisiert und dem Untersuchungsausschuss zur Verfügung gestellt worden seien, habe Wikileaks nicht publiziert.

Verfassungsschutz warnt von Cyberattacken im Bundestagswahlkampf

Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, hat in der vorigen Woche erstmals davor gewarnt, dass Cyberangriffe und gezielte Diffamierungen von deutschen Politikern wohl zur Einflussnahme im nächsten Bundestagswahlkampf genutzt werden. „Die Hinweise auf Versuche einer Beeinflussung der Bundestagswahl im kommenden Jahr verdichten sich“, sagte Maaßen und benannte „eine mögliche Gefährdung von deutschen Regierungsmitgliedern, Bundestagsabgeordneten und von Mitarbeitern der demokratischen Parteien durch Cyberoperationen“. Nach Angaben des Verfassungsschutzes war in den vergangenen Monaten ein „eklatanter Anstieg“ vonAttacken gegen Parteien und Bundestagsfraktionenzu verzeichnen. Sie werden demnach der Angriffskampagne „APT 28“ zugeschrieben, die auch für eine Attacke auf die US-Demokraten verantwortlich gemacht wird. Daraus „erbeutete“ E-Mails wurden in der Schlussphase des Präsidentschaftswahlkampfs im Oktober 2016 veröffentlicht und belasteten den Wahlkampf und die Glaubwürdigkeit der demokratischen Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton. „APT 28“ taucht auch als Verursacher des Hackerangriffs auf den Bundestag im Frühjahr 2015 auf; dieser Gruppe werden Verbindungen zu russischen Regierungsstellen nachgesagt. Maaßen legte dar, dass solche Attacken häufig unter „falscher Flagge“ ausgeführt würden. Staatliche Stellen verüben in diesen Fällen demnach Cyberangriffe unter dem Deckmantel vermeintlicher „Hacktivisten“.

Regierung geht von gezielten Cyberattacken auf die politische Willensbildung aus

Bewiesen ist die Verbindung zu Russland allerdings bisher nicht, wie Regierungssprecher Steffen Seibert erklärte. Ihm lägen „keine Erkenntnisse vor, um konkrete Spuren zu konkreten Ländern zurückverfolgen zu können“. Gleichwohl bestätigte Seibert verstärkte Cyberaktivitäten. „Angreifer nehmen gezielt Einrichtungen unserer demokratischen Willensbildung ins Visier.“

Abgeordnete fordern Aufklärung in der nächsten NSA-Ausschusssitzung

Das Bundesinnenministerium ließ aktuelle Anfragen zu einer möglichen Verbindung zwischen dem Cyberangriff auf den Bundestag und den Indiskretionen bei Wikileaks am Wochenende unbeantwortet. Parlamentarier von Koalition und Opposition im Untersuchungsausschuss nahmen den Medienbericht mit Zurückhaltung auf und betonten, dass auch andere Erklärungen denkbar seien. Aus Koalitionskreisen war zu hören, dass die zuständigen Stellen in den Tagen unmittelbar nach der Wikileaks-Veröffentlichung dezidiert nicht davon ausgingen, dass die 2400 Geheimunterlagen bei einem Hackerangriff erbeutet worden seien. Als Indiz dafür wird auch gewertet, dass Bundestagspräsident Norbert Lammert grünes Licht für Ermittlungen gegeben habe.

„Ich sehe noch keine belegten Fakten“, sagte Konstantin von Notz, der für die Grünen im Ausschuss sitzt, dieser Zeitung. „Bisher wurde uns immer dargelegt, dass bei dem Bundestags-Hack im vorigen Jahr keine Daten aus dem Umfeld des NSA-Untersuchungsausschusses abgeschlossen sind. Sollte es neue Erkenntnisse geben, müssen wir es umgehend erfahren.“ Die nächste Gelegenheit dazu ist die Sitzung des Untersuchungsausschusses am kommenden Donnerstag. Auch Nina Warken, CDU/CSU-Obfrau im Untersuchungsausschuss, betonte, dass ihr keine neuen Erkenntnisse vorlägen. „Das muss natürlich aufgeklärt werden. Ich denke, dass wir das in der nächsten Sitzung in die Wege leiten.“