Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) warnte bei der Vorstellung der Cyber-Sicherheitsstrategie Anfsang November auch vor Angriffen auf die Meinungsfreiheit aus Russland. Foto: dpa

Deutschland muss endlich Ernst machen mit dem Aufbau einer Cyber-Abwehr. Und mit Blick auf den Moskauer Desinformationsfeldzug muss die Bundesregierung klar machen, dass sie diesen nicht tatenlos hinnimmt, meint unser Kommentator Michael Weißenborn

Stuttgart - Die neue deutsche Cyber-Sicherheitsstrategie ist noch keine vier Wochen alt. Darin steht gleich am Anfang ein alarmierender Satz: „Zahl und Qualität der Cyber-Angriffe nehmen (. . .) kontinuierlich zu und treffen auf oftmals unzureichend gesicherte IT-Systeme.“ Doch als der zuständige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) die Eckpunkte der neuen Strategie vorstellte, wurde auf erschreckende Weise deutlich, wie wenig das hoch entwickelte Industrieland Deutschland für diese neue Bedrohung bislang gerüstet ist.

Da ist viel von allgemeinen Zielen in der Zukunft die Rede: Das 2011 gegründete Cyber-Abwehrzentrum soll zu einer Art IT-Krisenzentrum entwickelt werden. Geplant ist zudem eine mobile Eingreiftruppe, um bei Angriffen auf eine für ein Gemeinwesen besonders wichtige Einrichtung helfen zu können. Schließlich sollen Staat, Unternehmen und Wissenschaft mehr zusammenarbeiten, nicht zuletzt, um die Bürger besser über Gefahren und Schutzmöglichkeiten zu informieren. Schön! Die Weihnachtszeit naht mit Riesenschritten. Da kann man seinen Wunschzettel abgeben. Denn konkreter wird es nicht. Unklar bleibt, wie viel Personal neu angestellt werden soll. Und wo dieses überhaupt herkommt, wenn schon die deutlich besser zahlende Privatwirtschaft nicht genug Fachleute findet.

Fließende Übergänge zwischen staatlichen und kriminellen Sponsoren

Dabei drängt die Zeit. Denn je mehr die Digitalisierung weitere Lebensbereiche erfasst, desto verwundbarer werden Behörden, Unternehmen und auch Otto Normalverbraucher. Das zeigen nicht zuletzt die Angriffe über das Internet der jüngsten Vergangenheit: auf den Bundestag, auf mehrere deutsche Krankenhäuser. Und jetzt der Hackerangriff auf die Deutsche Telekom. Dabei sind die Übergänge zwischen staatlichen und kriminellen Sponsoren der Attacken fließend. Deshalb ist vielleicht nie gerichtsfest zu sagen, wer hinter den Attacken steht.

Trotzdem haben deutsche Behörden zuletzt ausreichend Belege dafür gefunden, dass vor allem Hacker, die mit der russischen Regierung in Verbindung stehen, eine Reihe von Angriffen durchgeführt haben. Mit dem Ziel, in Deutschland „Konflikte und Unsicherheiten zu schüren“, wie der Nürtinger SPD-Bundestagsabgeordnete Rainer Arnold unserer Zeitung sagte. Er bezog sich auf die Cyber-Attacke auf den Bundestag im August sowie auf den „Fall Lisa“ vom Januar, als die russische Regierung und Medien wie „RT deutsch“ oder „Sputnik“ die Vergewaltigung eines 13-jährigen Mädchens in Berlin schlicht erfanden.

Furcht vor russischer Einflussnahme im Bundestagswahlkampf

Auch in den US-Wahlkampf mischte sich Moskau massiv ein, ließ laut US-Sicherheitsbehörden Daten der Demokraten stehlen und durch Internet-Trolle Unwahrheiten verbreiten. Womöglich steht Deutschland im Bundestagswahlkampf Ähnliches bevor. Die Cyber-Attacken gehören zum groß angelegten Versuch des Ex-Geheimdienstmanns Wladimir Putin, die westlichen Demokratien und die liberale Weltordnung zu untergraben. Dazu gehört die Anstiftung des Ukraine-Krieges ebenso wie die Unterstützung rechtspopulistischer Politiker in ganz Europa – vom Front National bis zur Alternative für Deutschland.

Die Bundesregierung hat auf die wachsende Bedrohung durch solche Angriffe – seien sie nun kriminell oder politisch motiviert – eine überzeugende Antwort zu geben. Sie muss Ernst machen mit dem zügigen Aufbau einer Cyber-Abwehr. Und wenn Moskauer Urheberschaft hinreichend belegbar ist, muss sie klarmachen, dass sie diesen Informationskrieg nicht hinnimmt. Notfalls mit neuen Sanktionen.