Verteidigt Arbeitspapier: Kultusminister Andreas Stoch Foto: dpa

Grün-Rot hat die eine Säule des Zwei- Säulen-Modells mit Gemeinschafts- und Realschule vorerst definiert. Nun nimmt sich der Kultusminister die zweite, das Gymnasium, vor. Kritiker befürchten eine Schwächung dieser Schulart. Andreas Stoch wehrt sich gegen Vorwürfe, das Niveau senken zu wollen.

Stuttgart - Herr Stoch, seit einem Jahr liegt das Papier Gymnasium 2020 in Ihrer Schublade. Ist es Ihnen zu heikel?
Nein – ein solches Thema braucht einfach Zeit. Den Arbeitskreis, der das Papier erarbeitet hat, hat noch meine Vorgängerin eingesetzt. Er sollte sich zum einen mit der pädagogischen Arbeit am Gymnasium befassen, zum anderen damit, wie die Durchlässigkeit zwischen den verschiedenen Schularten sichergestellt werden kann. Als ich vor einigen Monaten das Abschlusspapier erhielt, war mir klar, dass es gute Anregungen enthält, aber auch schwierige Fragen. Deshalb habe ich zunächst im Ministerium mit den verschiedenen Abteilungen darüber gesprochen – da gibt es ja auch unterschiedliche Interessen.
Die Konkurrenz zwischen allgemeinbildenden und beruflichen Gymnasien etwa?
Die Berufsschullehrerverband hat mit einer Pressemitteilung das Papier an die Öffentlichkeit gebracht. Dort gibt es Ängste, dass sich einige Vorschläge nachteilig auf die beruflichen Gymnasien auswirken könnten. Auch aus anderen interessierten Kreisen kommt Widerstand. Der Philologenverband fürchtet um Besitzstände, die FDP sieht die Einheitsschule auf sich zurasen, der Vorsitzende des Landeselternbeirats sprach vorige Woche vom Gymnasium als der „vergessenen Schulart“.
Und was wollen Sie?
Ich sehe es als meine Aufgabe als Kultusminister, auch darüber zu reden, an welcher Stelle es Verbesserungsmöglichkeiten an den Gymnasien gibt. Ich war in den letzten Monaten damit beschäftigt, mit den Regierungsfraktionen darüber zu debattieren, welche Elemente nützlich und sinnvoll sind und welche nicht. Denn das kostet auch Geld. Das Papier, an dem auch einige Schulleiter von Gymnasien mitgearbeitet haben, ist eine gute Grundlage. Es ist aber weder ein Geheimpapier noch beschlossene Sache.
Das erinnert an die Diskussion um den Bildungsplan vor eineinhalb Jahren – damals brachte das Thema sexuelle Vielfalt viele auf.
Wenn Sie Prozesse offen gestalten und Menschen von außen an einen Tisch holen, dann besteht immer die Möglichkeit, dass Informationen nach außen gehen. Das ist nicht per se schlimm. Aber es ist ärgerlich, wenn Einzelne das instrumentalisieren und die Diskussion nicht sachlich, sondern polemisch geführt wird.
Der Arbeitskreis schlägt vor, dass die zweite Fremdsprache nach der neunten Klasse abgewählt werden kann und die Schüler dafür eine dritte Fremdsprache beginnen und bis zum Abitur weiterführen...
Das sehe ich kritisch und das halte ich auch nicht für zielführend...
Mit Rücksicht auf die beruflichen Schulen, die befürchten, dass sie dann Realschüler und Gemeinschaftsschüler ans allgemeinbildende Gymnasium verlieren könnten?
Nein, entscheidend ist, dass ich keine Qualitätsabsenkungsdiskussion möchte. Ich will, dass das Gymnasium bei den Fremdsprachen die Garantie für ein hohes Niveau bietet. Wir haben ja bei der kürzlich veröffentlichten Studie von Professor Trautwein gesehen, dass es bei den Fremdsprachen in den vergangenen Jahren Verschlechterungen gab. Die, die jetzt lauthals eine Verschwörung gegen das Gymnasium herbeireden wollen, haben in ihrer Regierungszeit 2004 das Fremdsprachenkonzept verschlechtert.
Und die Vorschläge zu Mathe?
Wir sind zu Recht stolz auf das Niveau des baden-württembergischen Abiturs. Ich möchte keine Diskussion über die Absenkung des Niveaus führen.
Sie sagen, die pädagogische Qualität am Gymnasium habe absolute Priorität. Was meinen Sie denn damit?
Baden-Württemberg ist eines von wenigen Ländern, in dem die Abiturdurchschnitte seit Jahren relativ konstant sind. Das heißt, es gab keine Absenkung des Niveaus, um bessere Notendurchschnitte zu erreichen. Aber wir müssen uns auch mit der Frage beschäftigen, wie wir Schüler noch besser in die Lage versetzen, den hohen Anforderungen gerecht zu werden. Jeder, der sich mit dem Gymnasium beschäftigt, kommt nicht an der Lehrerbildung vorbei. Dort brauchen wir eine hohe Fachlichkeit, aber auch mehr Fachdidaktik und Pädagogik.
Die Arbeitsgruppe empfiehlt auch, die zehnte Klasse zur Oberstufe zu zählen. Was halten Sie davon?
Die zehnte Klasse ist immer wieder in der Kritik, wir wissen, dass es dort Verbesserungsbedarf gibt. Einige Schulen haben das gut gelöst, indem sie die zehnte Klasse als Einstieg in die Oberstufe nutzen. Der Arbeitskreis schlägt zusätzliche Förderangebote vor – das halte ich für eine gute Überlegung. Beschlossen ist aber noch nichts.
Wie geht es jetzt weiter?
Wir werden versuchen, die Diskussion zu versachlichen. Das Papier ist eine Ideensammlung, die wir prüfen und von der wir möglicherweise einiges übernehmen.
Ministerpräsident Kretschmann hat einmal erklärt, „wer sich am Gymnasium vergreift, überlebt das nicht“. Sehen Sie das auch so?
Wer das Gymnasium als Institution in Frage steht, hätte wahrscheinlich ein großes Problem, auch bei der Akzeptanz der Menschen. Wir stellen es aber nicht in Frage, sondern überlegen, wie das Gymnasium noch besser werden kann. Wer sich hier Denkverbote auferlegt, handelt unverantwortlich. Das dient nicht unserem Schulsystem.