Abgewogen argumentieren – ein Merkmal von Guido Wolf Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Schubladen? Damit braucht man Guido Wolf nicht zu kommen. Obwohl die Versuchung groß ist, den designierten CDU-Spitzenkandidaten einzusortieren – etwa als Konservativen vom Lande. Wolf aber entzieht sich allen Versuchen, ihm einen Stempel zu verpassen.

Stuttgart - Es ist schon merkwürdig. Da macht sich der Landtagspräsident seit Monaten im Land bekannt, eilt von Termin zu Termin – oftmals mit fliegenden Rockschößen –, hält Grußworte und Ansprachen, präsentiert sich erfolgreich der CDU-Basis, tritt im Fernsehen auf, gibt Interviews, redet und tut – und trotzdem fragt man sich: Was für ein Typ ist Guido Wolf?

Das Beruhigende daran ist: Man steht mit dieser Frage nicht alleine.

Lebenslauf eines zielstrebigen Erfolgsmenschen

Sein Lebenslauf hilft nur bedingt weiter: Immerhin weist er den 53-Jährigen als zielstrebigen Erfolgsmenschen aus: Jura-Studium, Richterstelle, Bürgermeisteramt, Landratsposten. Früh zeigt sich sein Hang zur Landespolitik – weit früher als sein später Eintritt in den Landtag vermuten lässt. Es folgt der Aufstieg zum Landtagspräsidenten, vorgeschlagen ausgerechnet von dem Mann, der ihm jetzt Platz an der Fraktionsspitze machen muss: Peter Hauk. Dann im April dieses Jahres die Bewerbung als CDU-Spitzenkandidat für die Landtagswahl. Im Dezember der klare Sieg über den Landesvorsitzenden Thomas Strobl in der CDU-Mitgliederbefragung (55,9 zu 44,1 Prozent).

Wahrlich keine schlechte Karriere. Zumal er noch Großes vorhat: 2016 will er Ministerpräsident Kretschmann beerben. Dass er kämpfen und die Zähne zeigen kann, hat Wolf eben erst in der Auseinandersetzung mit Fraktionschef Hauk bewiesen. Die zentrale Frage bei seinem Besuch in unserer Redaktion lautet deshalb, wie oben beschrieben: „Was für ein Typ sind Sie, Herr Wolf?“

Wolfs Antworten fallen abgewogen aus. Sein Vorgehen im Ringen um den Fraktionsvorsitz sei nicht rücksichtslos gewesen, sondern verantwortungsbewusst, sagt er: „Ich tue, was die Situation von mir erfordert.“ Aus Wolfs Sicht erfordert es die Situation, dass er nach gewonnenem Mitgliederentscheid eine Position einnimmt, die es ihm ermöglicht, die politische Auseinandersetzung mit der Landesregierung zu führen – eben den Fraktionsvorsitz. Dass Hauk sich darauf verlassen hatte, bis zur Landtagswahl Fraktionschef zu bleiben, ist sekundär. Wolf weiß die CDU-Abgeordneten hinter sich. „Die CDU-Landtagsfraktion hat aus dem Ergebnis der Mitgliederbefragung klare Schlüsse gezogen.“

Hat Wolf vielleicht Machiavelli gelesen, den florentinischen Philosophen des Machterwerbs und -erhalts, der im Gespür für die Gunst der Stunde ein besonderes Merkmal politischer Tüchtigkeit sah? Fast ist man versucht, in Wolf einen kleinen „Fürsten“ zu sehen, zumal er von sich selbst sagt, er sei ein Mensch, der eine große Linie verfolge, mitunter aber auch aus der Situation heraus entscheide.

Ehe sich der Gedanke verfestigt, zeigt sich Wolf bereits von einer anderen, so gar nicht zupackenden Seite. Auf die Frage, ob er beim Landesparteitag im Januar auch den CDU-Landesvorsitz übernehmen wolle, reagiert er ausweichend – obwohl er nach seinem Sieg über Strobl Zugriff auf das Amt hätte. „Es geht nicht darum, möglichst viele Ämter in kürzester Zeit zu bekommen“, sagt er zaudernd. Oder steckt dahinter Kalkül? Rücksicht auf die Strobl-Anhänger? Wichtig sei die „geschlossene Formation“, betont Wolf ein ums andere Mal. Ein paar Sätze später wird er von sich sagen, er sei „kein abgebrühter Mensch“, sondern „auch sensibel“. Er lasse Dinge an sich heran, die andere Politiker gar nicht berührten. „Das hat den Vorteil, dass man die Sensibilität für den anderen nicht verliert.“

Wohl abgewogene Antworten und Eigenbeschreibungen

Wer ist er? Ein Wolf im Schafspelz? Oder umgekehrt ein Schaf im Wolfsgewand? Eine eigentümliche Mischung? „Schubladen, in die Sie mich packen können, werden Sie nicht finden“, sagt der gleichermaßen freundliche wie sperrige Gast. Ein Unfassbarer.

Porträts, die von ihm in Umlauf sind, bestehen oft aus groben Pinselstrichen. Wolf fühlt sich darin nicht richtig getroffen. Die einen zeigen „einen dichtenden Landtagspräsidenten, den niemand kennt“, die anderen „einen eiskalten und dünnhäutigen Machtmenschen“. Damit kann er nicht viel anfangen: „Der Versuch, aus Spontanwahrnehmungen den Typ Guido Wolf zu beschreiben, wird nicht gelingen“, sagt der solchermaßen Gezeichnete.

Interessant ist Wolfs Antwort auf die Frage, wie er sich seinen Sieg über Strobl erklärt, den viele CDU-Bundespolitiker favorisiert hatten. Es fallen die Stichworte „berufliche Herkunft“ und „Politikstil“: „Die CDU-Mitglieder haben sich die Frage gestellt, mit welchem Kandidaten wir die größeren Chancen haben, 2016 gegen Kretschmann zu gewinnen“, sagt er. Die Antwort der Basis lautete: Wolf! Warum? Ist er ein „Mini-Kretschmann“? Eine schwarze Kopie? Sein Schattenriss?

Wieder so eine Schublade, die Wolf krachend zuschlägt, kaum dass man sie aufzieht: Ja, er sei körperlich kleiner, das werde man im Wahlkampf auch sehen, sagt er. „Aber wer glaubt, ich hätte meinen Stil mit Blick auf Kretschmann verändert, der täuscht sich gewaltig.“ Ähnlichkeiten mit regierenden Ministerpräsidenten sind demnach rein zufällig. Die CDU könne davon profitieren, meint der Kandidat. Ihre Anhänger könnten sagen, „so einen haben wir auch. Jetzt brauchen wir nicht mehr Kretschmann, um das wählen zu können, was uns als Politikstil sympathisch ist“.

Dialektsprecher (schwarz) gegen Dialektsprecher (grün)

Dazu zählen auch Dinge wie der Dialekt: „Ich habe mir vorgenommen, das zu erhalten und nicht rumzukünsteln“, sagt der Mann aus Tuttlingen. Und so tritt 2016 Dialektsprecher (schwarz) gegen Dialektsprecher (grün) an, wobei Wolf für sich in Anspruch nimmt, im Vergleich zu Kretschmann eine milde Form des Schwäbischen zu pflegen.

In dieser Hinsicht ist sein Profil eindeutig. In anderer Hinsicht nicht. Er könne Wolf „ganz schwer einschätzen“, sagte Kretschmann jüngst, denn er kenne ihn vor allem von repräsentativen Terminen, wo es um „politisches Feuilleton“ gehe. Vom neuen Jahr an werden sich die beiden im politischen Tagesgeschäft begegnen. Dabei wird es Wolf nach eigenen Worten vermeiden, sich an der Person des Ministerpräsidenten abzuarbeiten.

Er zielt stattdessen auf die Reizfarben Grün-Rot, insbesondere auf die „verfehlte grün-rote Bildungspolitik“. Ein weiteres Angriffsfeld ist die Verkehrspolitik, die Wolf durch die aktuelle Landesregierung stiefmütterlich behandelt sieht. Für ihn ein Beleg dafür, dass die Grünen noch immer weit davon entfernt sind, eine „Wirtschaftspartei“ zu sein, wie sie dem Publikum glauben machen wollten.

Ist das inhaltlich alles? Nein! Ganz oben auf Wolfs To-do-Liste steht „die Zukunft“. Baden-Württemberg soll sich unter seiner Führung in ein „Smart Valley“ verwandeln. Das ist zwar nicht schwäbisch, doch Wolf wählt den Begriff bewusst – in Anspielung auf die Innovationsfreude des früheren Ministerpräsidenten Lothar Späth. Ihm will er nacheifern. Auch mal was Verrücktes tun, etwa „auf die Schnelle ein Forschungsinstitut einrichten“. Deshalb hat er auch nichts dagegen, dass er gelegentlich mit dem berühmten „Cleverle“ verglichen werde, wie er ungefragt erzählt. Das soll wohl heißen: Wenn schon eine Schublade, dann bitte dieses Schublädle.

Ansonsten wehrt sich Wolf mit Händen und Füßen gegen Klischees – und gegen inhaltliche Festlegungen, die ohne Rücksprache mit der Parteibasis getroffen werden. „Ich bin nicht der neue Wegweiser in der CDU“, sagt er. Eine Ausnahme macht er dann doch: „Die AfD ist kein Partner“, sagt er. Um deren Wähler müsse sich die CDU allerdings kümmern. Über die Pegida-Bewegung hat er sich „noch kein abschließendes Urteil gebildet“. Sein erster Eindruck ist: „Eine Kultur der Angstmache tut dem Land nicht gut.“

Als Person jedoch bleibt Wolf schwer zu greifen – trotz einiger Einblicke ins Private, die er der Redaktion erlaubt. Sie betreffen seinen 93-jährigen Vater, der Kretschmann „eigentlich ganz gut“ findet und der nun, nachdem sein Sohn Spitzenkandidat wird, unbedingt die nächste Landtagswahl erleben will . . . Er erzählt von seiner Vorliebe für markante Brillen und von seiner Abneigung gegen Fotos von sich.

Er spricht auch davon, dass er keine Schwierigkeiten damit hat, als Politiker vom Lande angesehen zu werden. „Wer Sie nicht kennt und im Internet nachschaut, sieht einen Guido Wolf mit Zylinder beim Blutritt von Weingarten . . .“, hebt ein Redakteur zur Frage an. Wolf unterbricht: „Wo ist das Problem?“

Den Einwand, er bringe womöglich kein Verständnis für die Großstadt mit, kontert er gelassen: „Ich fühle mich in urbanen Themen in gleicher Weise zu Hause.“ In spitzbübischer Art verweist er auf den grünen Ministerpräsidenten. Der stamme bekanntlich aus Sigmaringen-Laiz und habe anfangs „auch nicht die großen urbane Prägungen mitgebracht“.

Kurz darauf klingelt Wolfs Handy. Es klingelt? Nein, der Ruf eines Kuckucks ertönt. Man könnte meinen, das Land ruft.