Der Triebwagen des entgleisten Güterzug liegt im März 2010 in Untertürkheim auf den Schienen. Foto: Benjamin Beytekin

16 Monate nach dem Zugunglück in Untertürkheim haben Ermittler die Ursache ausfindig gemacht.

Stuttgart - Ein entgleister Güterzug mit 20 Kesselwagen voller Diesel, ein leicht verletzter Lokführer, knapp 900.000 Euro Schaden: 16 Monate nach dem Zugunglück in Untertürkheim hat die Eisenbahn-Unfalluntersuchungsstelle des Bundes die Ursache ausfindig gemacht. Die Ermittler stellen Schlampereien und rechtliche Verstöße bei vorangegangenen Gleisbauarbeiten fest.

Nach dem Untersuchungsbericht des Eisenbahn-Bundesamts, der unserer Zeitung vorliegt, war am 15. März 2010 eine nicht zertifizierte Firma mit der Gleiserneuerung beschäftigt. "Sie ist nicht im Nachunternehmerverzeichnis aufgeführt", heißt es. Sie sei "offensichtlich als Ersatz für eine ausgefallene Maschinenleistung herangezogen" worden. Darüber hinaus war entgegen ursprünglichen Plänen eine Gleisstopfmaschine im Einsatz, die für Verdichtungsarbeiten im Bereich von Weichen nicht geeignet war.

Zwölf Züge passieten verhängnisvolle Stelle an Weiche 391

Die Arbeiten wurden daher vor einer Weiche beendet, fatalerweise ohne einen entsprechenden Übergang herzustellen. Dieser Absatz von vier Zentimetern wäre bei vorgeschriebenen Messungen festgestellt worden - was aber unterblieb. Verwindungsfehler und Grenzwertüberschreitungen blieben so unentdeckt. Die Strecke wurde freigegeben.

Zwölf Züge passierten an diesem Tag die verhängnisvolle Stelle an Weiche 391, ohne dass etwas passierte. Laut Untersuchungsbericht war eine Entgleisung nicht zwangsläufig. Die statistische Wahrscheinlichkeit wird auf fünf Prozent geschätzt, wenn "Grenzwerte in ungünstiger Konstellation zueinander auftreten". Bei Güterzug 63051 von Karlsruhe nach Stuttgart-Hafen war das gegen 20.50 Uhr dann der Fall.

"Wir ermitteln nicht gegen irgendjemanden, sondern stellen nur die Fakten zusammen", betont Moritz Huckebrink, Sprecher der Eisenbahn-Unfalluntersuchungsstelle. "Alles andere ist später Sache der Staatsanwaltschaft." Ins Zwielicht gerät dabei auch der Betreiber, die DB Netz AG Südwest. Obwohl an der Stelle eine Geschwindigkeitserhöhung um mehr als zehn Prozent beabsichtigt war, sei das Eisenbahn-Bundesamt als Sicherheitsbehörde nicht in die Baumaßnahme eingebunden gewesen - ein Verstoß gegen Bestimmungen der Transeuropäischen Eisenbahn-Interoperabilitäts-Verordnung, kurz TEIV.

400 Liter Diesel laufen aus

Dies hatte dann auch Folgen für die Kontrolle der Bauarbeiten. Laut Vorschriften hätte ein Bauüberwacher mit Ingenieurausbildung die Arbeiten überprüfen und die Freigabe der Bahnstrecke beurteilen müssen. Stattdessen hatte das beauftragte freie Ingenieurbüro nur einen Kontrolleur mit Techniker-Ausbildung im Einsatz - was lediglich in Absprache bei nichtanzeigepflichtigen Baumaßnahmen erlaubt ist. Ein weniger qualifizierter Überwacher bringt laut Untersuchungsbehörde bei den Baukosten "erhebliche Einsparungen".

Am Ende wurde es teuer. Der Güterzug aus Karlsruhe entgleiste an Weiche 391 mit dem zweiten Triebfahrzeug, die erste Lok und drei Kesselwagen rollten aufs falsche Gleis, stürzten quer zur Fahrtrichtung auf die Seite. Ein Mast der Fahrleitung wurde niedergedrückt und eingekeilt, bis zu 400 Liter Diesel liefen aus, versickerten im Erdreich. Die Aufräumarbeiten zogen sich über Tage hin, Autofahrer und Stadtbahn-Fahrgäste mussten Umleitungen hinnehmen.