Der Käfer als Guerilla-Kunst im Museum Foto: dpa

Wer schmuggelt Kunst ins Museum? Und was steckt hinter der Guerilla-Aktion im Museum Würth. Wir erklären das projekt „Invasion“ zweier Künstler der Kunstakademie Stuttgart.

Der braune Maikäfer liegt hilflos auf dem Rücken, der Hintergrund des nur 13 mal 18 Zentimeter Ölbilds ist in Rot gehalten. Das kleine Exponat hängt in der Kunsthalle Würth in Schwäbisch-Hall gleich neben einem Gemälde von Ray Smith, dessen „Surreales Getier“ ebenfalls in Rot gehalten ist. Und eben diese Rot-Rote-Korrespondenz verleitet den Betrachter dazu zu glauben, der Käfer sei eben aus dem Werk des US-Malers herausgefallen. Irrtum. Denn eigentlich dürfte das Krabbeltier da gar nicht hängen.

Das gilt auch für den Hirschkäfer neben einer beleuchteten Vitrine mit einer Plastik von Tomi Ungerer oder den Mistkäfer, der in Anspielung auf die Würth-Gruppe eine Schraube dreht. Auch im Katalog zur Ausstellung „Menagerie – Tierschau aus der Sammlung Würth“ (2013) sucht man die Bilder vergeblich, obwohl darin zehn der typischen Insektenbilder von Sigrid Nienstedt aus der Serie K2 aufgelistet sind.

Die eingeschleusten Insekten sind vielmehr Teil des Projektes „Invasion“ von Annarita Matuschka und Eduard Losing, beide Studierende an der Stuttgarter Kunstakademie. Innerhalb von acht Monaten haben elf ihrer Bilder den Weg in die Ausstellung bei Würth gefunden. Unbemerkt von Personal und Besuchern entwickelte sich ein spannendes Experiment, eine heimliche Ausstellung in der Ausstellung.

Der erste Käfer fand am 6. Oktober 2013 seinen Platz, weg vom Blickwinkel der Überwachungskameras, Freunde lenkten das Personal ab. Die bunten Krabbler breiteten sich rasch aus in den Museumsräumen, fanden sich zwischen Picasso, Baselitz und Richter wieder. „Natürlich haben wir ständig damit gerechnet, erwischt zu werden. Aber wir haben auch nur in kleinen Schritten geplant“, sagt Annarita Matuschka, die seit 2011 die Fachklasse für Malerei besucht.

„Invasion“ will nicht provozieren, nicht brüskieren und auch niemanden bloßstellen. Weder die Würth-Museumsdirektorin C. Sylvia Weber noch ihre Mitarbeiter. Matuschka (28) und Losing (25) agieren vielmehr als kreative Konzeptkünstler, die den Dingen freien Lauf lassen. Sie haben sich herangetastet, Bild für Bild verteilt. „Bei unseren Besuchen sind wir dann selbst zum Beobachter geworden und haben gesehen, wie die Leute nach weiteren Käfern gesucht haben“, sagt Annarita Matuschka. Sie ist dann mutiger geworden, aber nie übermütig, auch als niemand die fehlenden Namensschilder bemerkt hat oder dass sie mit ihren Exponaten den kuratorischen Ansatz von Heinstedt nur am Anfang aufgegriffen hat. Die Stuttgarter haben knallige Farben gewählt, während die Originale in Pastell gehalten waren und das Sortiment um andere Insekten erweitert.

Zu sehen ist das Projekt „Invasion“ von diesem Freitag an bis zum 15. August in der Stuttgarter Galerie von Braunbehrens im Projektraum Salon Madeleine in der Zeppelinstraße 17. Hier sieht man, dass das Duo mit der Zeit ein Gespür dafür bekommen hat, was möglich ist. Die beiden Künstler haben darauf gewartet, bis der Beobachter den Fehler im System findet. Aber es ist nichts passiert, auch dann nicht als die falschen Urheber mit elf Bildern vertreten waren während es von den Originalen nur zehn gab. „Es war im Kontext der Wahrnehmung für uns spannend zu sehen wie weit man gehen kann, bis sich die menschliche Wahrnehmung nicht mehr täuschen lässt“, sagt Eduard Losing. Kunst hatte schon immer etwas mit veränderter Wahrnehmung zu tun. Für das Aufsichtspersonal war es eine absurde Vorstellung, dass jemand etwas ins Museum mitbringt. „Scheinbar sieht man nicht nur Dinge nicht mehr, die man ständig wahrnimmt, sondern auch solche deren Eintreten man nicht für wahrscheinlich der gar nicht möglich hält“, sagt Eduard Losing, der Malerei und Graphik studiert. Schwieriger war die Dokumentation des Guerilla Kunstprojektes. Fotografieren ist verboten und in diesem Punkt zeigte das Personal eine ganz andere Wachsamkeit. Doch den Aktionskünstlern ist es gelungen, Invasion fotografisch, auf Film und zeichnerisch festzuhalten.

Matuschka und Losing sind dann aber noch weiter gegangen, haben das lustvolle Wandern auf dem künstlerischen Grat der Unterwanderung noch fortgesetzt. In Schwäbisch-Hall und direkt an der Kunsthalle haben sie Plakate über Invasion geklebt, einen eigenen Ausstellungskatalog auf den Sitzbänken ausgelegt, Postkarten von fünf Motiven im Kartenständer des Museumshops verteilt. Aufgehalten wurden sie nie. Am 7. Mai, vier Tage vor Ende von „Menagerie“, wollten sie eigentlich das zwölfte Exponat platzieren. Doch dann haben sie beobachtet, wie einer Restauratorin die überzähligen Bilder aufgefallen sind. Nach Ende der Ausstellung haben sie Kontakt zur Direktorin aufgenommen, die ihre Arbeiten zunächst in der Sammlung Würth behalten hat. Vergangene Woche haben sie ihre Bilder für ihre Ausstellung abgeholt.

Für Annarita Matuschka ist die Eröffnung an diesem Freitag nur ein kleines Intermezzo, denn sie wird in diesem Jahr noch dreimal in New York ausstellen - unter anderem bei der Affordable Art Fair NYC 2015. Eine Käfersammlung wird nicht dabei sein.