Kein Platz mehr: Ministerpräsident Kretschmann informiert sich am Dienstag in Karlsruhe über die Zustände in der Landeserstaufnahmestelle. Foto: dpa

Das Papier ist höchst brisant. Mitten in der Phase, da das Land immer mehr Flüchtlinge aufnehmen muss, haben sich die Grünen positioniert. Tenor: Wir bleiben offen für alle Asylbewerber.

Stuttgart - Eigentlich ist Winfried Kretschmann derzeit auf Sommertour, um das Land zu erwandern. Doch am Dienstag wurde der Ministerpräsident von der politischen Realität eingeholt. Bei einem Besuch der Landeserstaufnahmestelle in Karlsruhe wurde ihm mehr denn je vor Augen geführt, wie verheerend die Lage in Sachen Flüchtlinge derzeit ist. Und als ob die Lage aufgrund fehlender oder völlig überfüllter Unterkünfte nicht schon schlimm genug wäre, brachte der Regierungschef gleich noch eine neue Prognose mit. Demnach wird Baden-Württemberg dieses Jahr bis zu 100 000 Asylbewerber aufnehmen müssen, das sind doppelt so viele wie erwartet.

Man versuche alles, um die Menschen unterzubringen, aber die Lage sei prekär. Kretschmann lobte das Engagement der Helfer, dämpfte aber Hoffnungen auf rasche Erleichterungen. „Ich kann nicht versprechen, dass wir die Überbelegung schnell abbauen können.“ Aktuell stehen in Baden-Württemberg 7000 reguläre Plätze in den Erstaufnahmeeinrichtungen zur Verfügung. Dazu kommen 4000 sogenannte Bedarfs- und Notplätze. Bewohnt werden die Unterkünfte aber von rund 17 000 Menschen.

Hilferufe aus den Ländern

Kretschmann sprach sich in diesem Zusammenhang erneut dafür aus, die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien aus dem normalen Asylverfahren herauszulösen, weil sie sicher ein Bleiberecht in Deutschland erhalten würden. Zugleich kritisierte er den Bund, weil der viel zu spät auf Hilferufe aus den Ländern reagiert habe und immer noch einen zu geringen Teil der Kosten trage. Zudem liege es am Bund, die Asylverfahren zu beschleunigen.

Kaum hatte Kretschmann Karlsruhe wieder verlassen, tauchte ein Papier auf, das unter seiner Führung und der Koalition in Hamburg entstanden ist und von allen acht grün-mitregierten Bundesländern unterstützt wird. „Damit stellen wir uns der Verantwortung, um eine gemeinsam pragmatische Lösung für eine prekäre Situation zu finden“, sagte ein Regierungssprecher.

Wichtig: Asylverfahren beschleunigen

In dem siebenseitigen Positionspapier sprechen sich die Grünen gegen eine weitere Ausweitung der Ausweisung von so genannten sicheren Herkunftsstaaten aus. „Das Recht eines Menschen, bei uns in Deutschland Asyl zu suchen und ein faires Verfahren zu bekommen, ist für uns kostbar“, heißt es in dem Papier. Es sei deshalb „Symbolpolitik“, wenn man nun Länder wie Albanien oder das Kosovo als sichere Herkunftsstaaten ausweisen würde, um damit die Abschiebung der Menschen dorthin zu erleichtern. „Für politische Verfolgte gilt: das Boot ist nie voll.“ Die Grünen räumen in dem Papier, das unserer Zeitung vorliegt, zwar ein, dass die Länder und Kommunen derzeit „große Herausforderungen“ zu meistern hätten. Man fühle sich aber „dem Schutz von Flüchtlingen verpflichtet“.

Wichtig sei, die Asylverfahren zu beschleunigen. Die von der Bundesregierung zugesagten, zusätzlichen 2000 Stellen für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge würden „nicht ausreichen“. Nötig sei eine weitere Verstärkung. Zudem brauche es mehr Unterstützung des Bundes für die Länder und Kommunen, weil diese „finanziell überfordert“ seien. Kretschmann und seine Mitstreiter fordern darüber hinaus, das Aufenthalts- und Asylrecht müsse mit dem Einwanderungsrecht verknüpft werden: „Für die Wirtschaft ist es irrelevant, welche Nationalität eine gesuchte Fachkraft hat.“