Teilhabe statt Fürsorge lautet das Prinzip des neuen Behindertengesetzes Foto: dpa

Machtkampf? Nicht doch, wiegeln Grüne und Rote ab, nachdem sie nun doch ein Gesetz zur Gleichstellung von Behinderten beschlossen haben. Den ersten Anlauf dazu hatte der Ministerpräsident persönlich gestoppt.

Machtkampf? Nicht doch, wiegeln Grüne und Rote ab, nachdem sie nun doch ein Gesetz zur Gleichstellung von Behinderten beschlossen haben. Den ersten Anlauf dazu hatte der Ministerpräsident persönlich gestoppt.

Stuttgart - Behinderte sollen künftig in allen 44 Stadt- und Landkreisen Ansprechpartner finden, die ihnen helfen, ihre Rechte durchzusetzen. Dies sieht der Entwurf für ein Behindertengleichstellungsgesetz vor, den die Landesregierung am Dienstag verabschiedet hat. „Das Gesetz orientiert sich am Prinzip der Inklusion, nicht mehr am Prinzip der Fürsorge“, sagte Sozialministerin Katrin Altpeter (SPD).

Ob die Fachleute im Haupt- oder im Ehrenamt arbeiten, bleibt den Kommunen selbst überlassen. Altpeter wollte diese ursprünglich zu hauptamtlichen Kräften verpflichten, war damit aber vor zwei Wochen überraschend an Ministerpräsident Winfried Kretschmann gescheitert. Dieser hatte den Gesetzentwurf kurzerhand von der Tagesordnung des Kabinetts genommen.

„Ich bin ein leidenschaftlicher Anhänger des Subsidiaritätsprinzips“, rechtfertigte er sein Eingreifen – dies bedeutet, dass Aufgaben von der niedrigstmöglichen politischen Ebene erledigt werden. Deshalb sollten die Kommunen selbst entscheiden, wie sie die Interessenvertretung der Behinderten ausgestalten. Von den Gemeinden „wünscht“ sich Grün-Rot zwar, dass sie dem Beispiel der Kreise folgen und ebenfalls Ansprechpartner für Behinderte einstellen, eine Pflicht dazu soll es aber nicht geben.

Altpeter nannte dies einen „guten Kompromiss“ und bestritt, dass es sich um einen Machtkampf gehandelt habe. Kretschmann sprach von einer „etwas anders eingefärbten Sichtweise“. Aus finanziellen Gründen könnten die Kommunen das Gesetz nicht ablehnen, sagte der Grünen-Politiker, denn das Land erstatte ihnen die Kosten pauschal mit 3000 Euro pro Monat für eine ehrenamtliche Stelle und mit weiteren 3000 für eine hauptamtliche.

2,8 Millionen Euro will die Regierung dafür zur Verfügung stellen. Hätte Grün-Rot auch alle Städte und Gemeinden zu einer solchen Stelle verpflichtet, wäre es allerdings erheblich teurer geworden: „Zehnmal so viel“ hätte es nach Kretschmanns Einschätzung gekostet.

Bisher haben nur der Landkreis Reutlingen sowie der Stadtkreis Mannheim hauptamtliche Behindertenbeauftragte installiert. Aus deren Erfahrung könne man schließen, dass solche Vollprofis notwendig seien, sagte Altpeter. Gleichwohl rechnet die SPD-Politikerin nicht damit, dass alle 35 Land- und neun Stadtkreise sogleich hauptamtliche Stellen einrichten. Mit dem neuen Gesetz werde Baden-Württemberg dennoch „die Nase ganz vorn“ haben, denn kein anderes Land sei auf diesem Gebiet bisher so weit.

Das Gesetz regelt erstmals auch die Befugnisse und Aufgaben des Landesbehindertenbeauftragten. Die Regierung ist verpflichtet, eine solche Stelle für die Dauer einer Wahlperiode zu schaffen. Behörden müssen Barrieren abbauen, indem sie etwa Schriftstücke und mediale Angebote so gestalten, dass sie auch von Sehbehinderten verstanden werden. „Es geht uns um gleichberechtigte Teilhabe und die Beseitigung von Diskriminierung“, sagte die Sozialministerin.