Mit dem Gefängnis Bruchsal gefordert: Justizminister Stickelberger Foto: dpa

Im Gefängnis Bruchsal lief vieles schief, das räumt selbst der Justizminister ein. Doch für den Ministerpräsidenten ist dies noch lange kein Grund, Rainer Stickelberger zu entlassen.

Stuttgart - Grüne und SPD haben am Mittwoch erwartungsgemäß die Reihen hinter Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) geschlossen und den Entlassungsantrag der CDU im Landtag abgelehnt. Die Liberalen stimmten mit Enthaltung, weil der Antrag auf Entlassung „zwar naheliegend, aber noch nicht spruchreif“ sei, so der FDP-Abgeordnete Ulrich Goll.

CDU-Fraktionschef Peter Hauk begründete den Antrag mit der mangelnden Aufsicht des Justizministers über die Vollzugsanstalt Bruchsal, wo Anfang August ein afrikanischer Gefangener in Einzelhaft verhungert ist: „Sie haben in der Aufsicht durch Organisationsfehler versagt.“

Stickelberger sei aber auch für weitere Rechtsverstöße und Fehlleistungen der Gefängnisleitung und des Personals verantwortlich, sagte Hauk mit Blick auf die bekannt gewordenen Vorfälle der vergangenen Wochen. So hatten Vollzugsbedienstete Gefangene verhöhnt, indem sie sich Häftlingskleidung anzogen, sich schwarz anmalten und anketteten. „Sie haben nur zugegeben, was nicht mehr zu bestreiten war“, sagte der Chef der CDU-Fraktion.

Die stimmte geschlossen für den Antrag – samt ihrem Strafvollzugsbeauftragten Karl Zimmermann, der Stickelberger lange gegen die Vorwürfe in Schutz genommen hatte. Den Ausschlag dafür gab offenbar, dass der Justizminister am Montag überraschend den Leiter der Vollzugsabteilung in seinem Ministerium in den Ruhestand versetzt hatte – was von der Opposition als „Bauernopfer“ gewertet wird.

Verbesserungen bei der Gefängnisaufsicht

Grünen-Fraktionschefin Edith Sitzmann nahm Stickelberger ebenso in Schutz wie ihr SPD-Kollege Claus Schmiedel. Der Minister habe gleich nach dem Hungertod des Häftlings zahlreiche Verbesserungen bei der Gefängnisaufsicht durchgesetzt, sagte Sitzmann, doch die CDU erwähne dies gar nicht: „Der Entlassungsantrag ist nicht angemessen.“ Schmiedel sagte in Richtung CDU, in der Amtszeit von FDP-Justizminister Goll sei es zu 92 Selbsttötungen in den Gefängnissen gekommen: „Ich sage das nicht, um Goll einen Vorwurf zu machen, sondern weil es Ihre Scheinheiligkeit entlarvt.“

Goll entgegnete, Suizide seien in den Haftanstalten leider eine traurige Realität. „Es geht in Bruchsal aber darum, ob ein Gefangener durch Unterlassen zu Tode gebracht wurde.“ Erst wenn die Ergebnisse des Staatsanwalts – dieser ermittelt unter anderem gegen den Bruchsaler Gefängnisdirektor – vorlägen, könne man abschließend die Frage der politischen Verantwortlichkeit Stickelbergers stellen.

Der Minister räumte gegenüber dem Landtag Defizite bei der Kontrolle der Einzelhaft ein: „Dieser schreckliche Fall hat uns gezeigt, dass die Mechanismen der gegebenen Rechtslage nicht ausreichen.“ Die Gefängnisse müssen deshalb künftig öfter und ausführlicher nach Stuttgart melden, wenn sie einen Häftling von anderen isolieren – und wenn sie diese Maßnahme wieder rückgängig machen.

Ein Vollzugsbeamter bis heute dienstunfähig

Bei dem Häftling aus Burkina Faso war die Einzelhaft deshalb angeordnet worden, weil er sich extrem aggressiv verhalten hatte. In den Gefängnissen Offenburg und Freiburg, wo er zuvor einsaß, hatte er das Personal angegriffen. Ein Vollzugsbeamter ist wegen eines Kopfstoßes bis heute dienstunfähig. In Bruchsal verweigerte er schließlich das Anstaltsessen und ernährte sich zuletzt nur noch von Müsliriegeln. Die Obduktion ergab, dass der Mann an Unterernährung gestorben ist.

Ob man ihm hätte helfen können oder sogar müssen, soll nun ein Gutachten klären, das die Staatsanwaltschaft Karlsruhe in Auftrag gab. Die Antwort auf diese „Kernfrage“, so Stickelberger, werde noch etwas Zeit in Anspruch nehmen. Was die Kontrolle der Einzelhaft angehe, habe er jedoch unverzüglich reagiert.

Auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann verteidigte seinen Minister. Dieser habe sofort gehandelt, nachdem sich Schwächen im Kontrollsystem gezeigt hatten: „Es wird eine neue Kultur im Frühwarnsystem geben.“ Allerdings sei kein System davor gefeit, dass sich Einzelne nicht an die Regeln halten. Der Justizminister genieße jedenfalls sein volles Vertrauen.

Stickelberger ist das vierte Mitglied der grün-roten Landesregierung, dessen Entlassung die Opposition gefordert hat. Bei Integrationsministerin Bilkay Öney blieb dies aber ebenso folgenlos wie bei Finanzminister Nils Schmid und bei Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer (alle SPD). Warminski-Leitheußer trat aber später selbst zurück.