Gina Miller vor dem Supreme Court. Die Managerin hat das Urteil erstritten. Foto: dpa

In London hat der Höchste Gerichtshof entschieden, dass ein Ende der EU-Mitgliedschaft vom Parlament gebilligt werden muss. Die Regierung will schnell ein Gesetz einbringen. Aber Gegner eines „harten Brexit“ planen eine parlamentarische Schlacht.

London - Die Aufkündigung der EU-Mitgliedschaft durch Großbritannien kann nur durch das britische Parlament erfolgen. Das entschied am Dienstag der Supreme Court in London. Bisher bestand Premierministerin Theresa May darauf, dass sie diese Entscheidung im Alleingang treffen und die Austritts-Verhandlungen mit der Europäischen Union ohne Einspruch Westminsters führen könne. Nun übernimmt das Parlament in London die Brexit-Regie – und für May kompliziert sich die Lage an der Europa-Front.

So planen die britischen Oppositionsparteien, die nun erwartete Gesetzesvorlage zum EU-Austritt mit Änderungsanträgen aller Art zu befrachten, bevor sie grünes Licht für die Austritts-Ankündigung gemäß Artikel 50 des EU-Vertrags geben. Hauptziel dieser Strategie im Unter- und Oberhaus ist es, einen „harten Brexit“ zu verhindern und dem Parlament erneut Vollmacht zur Annahme des Ergebnisses der Verhandlungen mit der EU zu sichern.

Regierung ist „enttäuscht“

Die Regierung zeigte sich vom Urteilsspruch „enttäuscht“, erklärte sich aber willens, es zu akzeptieren. Brexit-Minister David Davis verkündete noch am gleichen Tag im Unterhaus, ein „unkompliziertes, leicht verständliches“ Gesetz zur Aufkündigung der EU-Mitgliedschaft werde dem Parlament „binnen weniger Tage“ zugeleitet. Die Regierung glaubt, im Eilverfahren noch immer ihren Zeitplan zur Austritts-Erklärung einhalten zu können. Mittlerweile gibt es aber Zweifel daran, dass dies noch vor Ende März zu schaffen ist. Allein die Partei der schottischen Nationalisten, die SNP, will 50 Zusatzanträge vorlegen, die vom Unter- und vom Oberhaus behandelt werden müssten.

Der Gerichtsbeschluss vom Dienstag ist von weitreichender Bedeutung für die britische Verfassung. An dem Verfahren nahmen – erstmals in der britischen Geschichte – alle elf Richter des Supreme Court teil. Das Urteil erging mit acht zu drei Richterstimmen. Die Mehrheit der Richter, darunter Gerichtspräsident Lord Neuberger und Vizepräsidentin Lady Hale, befanden, dass der Brexit-Prozess das Parlament nicht einfach aussparen könne. Dieselbe Entscheidung hatte im Vorjahr schon ein High Court in London getroffen. Die Regierung legte damals aber Berufung ein.

Eine Bankerin hat den Stein ins Rollen gebracht

Die Online-Investmentmanagerin Gina Miller hatte die Klage gegen einen Brexit-Antrag ohne Mitbestimmung des Parlaments eingebracht. Sie sagte, ihr sei es nicht darum gegangen, den Brexit zu blockieren, sondern darum, das demokratische Prozedere zu wahren. „Kein Premierminister, keine Regierung kann erwarten, dass sie nicht verantwortlich gemacht oder in Frage gestellt wird“, sagte sie. „Das Parlament allein ist der Souverän.“

Bei dem Streit ging es darum, ob eine neue gesetzliche Regelung nötig sei, nachdem das Gesetz zum EG-Beitritt von 1972 europäisches Recht zu einer Quelle für britisches Recht gemacht hatte. Hierzu meinte Lord Neuberger, ein britischer Rückzug aus der EU „verschließe“ diese Quelle und ändere außerdem gewisse Rechte britischer Bürger: „Darum kann die Regierung Artikel 50 nicht in Anspruch nehmen, ohne dass das Parlament einen solchen Kurs genehmigt.“

Abgeordnete werden zustimmen

Generell haben alle konservativen Abgeordneten bis auf einen bereits versichert, dass sie ein solches Gesetz zügig verabschieden wollen. Auch die Führung der oppositionellen Labour Party wehrt sich nicht grundsätzlich. Der Labour-Vorsitzende und Oppositionsführer Jeremy Corbyn hat aber angekündigt, dass seine Partei eine Reihe von Zusatzanträgen plant, insbesondere um seinem Land „vollen, tariffreien Zugang zum Binnenmarkt“ zu sichern und „die Wahrung von Arbeiterrechten, von sozialen Rechten und von Umweltschutz“ zu garantieren. Die kleine Fraktion der leidenschaftlich pro-europäischen Liberaldemokraten will gegen die Aufkündigung der EU-Mitgliedschaft stimmen, falls ihr die Regierung kein zweites Referendum zum Ende der Verhandlungen zusichert.

Ganz gegen den Austritt ist die SNP, die in Schottland die Regierung stellt. In Schottland stimmten 62 Prozent der Wähler für Verbleib in der EU. Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon hat darum von London eine Sonderregelung gefordert, die den Schotten weitere Zugehörigkeit zur EU, oder zumindest zum Binnenmarkt der EU, erlauben würde. In seinem Urteil lehnte der Supreme Court aber einstimmig ein formelles Einspruchsrecht Schottlands, Nordirlands und des Fürstentums Wales in Sachen Brexit ab. Scharfe Kritik löste das Supreme-Court-Urteil wieder bei Teilen der Rechtspresse aus.