Das Ehepaar Zita und Rainer Sieber (Mitte) hat sich eine schönere Hauswand gewünscht. Philipp Becker (rechts) und Alexander Köhler (links) haben sie besprüht. Foto: Tanja Simoncev

Zita und Rainer Sieber haben ihr Haus an der Böblinger Straße mit einem bunten Graffito verschönern lassen.

S-Süd - Das Haus gehört Zita Sieber und ihrem Mann Rainer. Die beiden haben es vor zwei Jahren gekauft. Einziges Manko: „Die Hauswand sah richtig schlimm aus“, sagt die Produkt-Managerin während sie ihr Handy zückt und Bilder zeigt. Noch immer löst der Anblick Kopfschütteln aus. Beinahe jeden Tag seien neue Tags dazugekommen, eine Menge Müll wie Zigaretten-Kippen und mehr habe sich an der Fassade angesammelt. „Da standen eben immer Leute an der Wand, die getrunken und Lärm gemacht haben.“

Die Hauswand hat sie jeden Tag aufs neue enttäuscht

Erschwerend kam hinzu, dass die Vorbesitzerin die Wand immer wieder überstrichen hat – „jedes Mal mit einer anderen Farbe. Das sah dementsprechend aus.“ Weiteres Kopfschütteln. „Und wir wollten einfach, dass es hübsch aussieht“, betont die 34-Jährige. Jeden Tag auf dem Weg von der Bahn sei ihr beim Anblick der Hauswand ein enttäuschtes „Boah“ über die Lippen gekommen. „Und ich dachte mir: Mensch, ein Graffito wäre schon schön. Aber eben gut gemacht und richtig groß.“

Zita Sieber ist ein Streetart-Fan. „Immer wenn wir im Urlaub sind, fotografiere ich schön gemachte Graffiti oder Kunst auf den Straßen.“ Deshalb zückte sie Stift und Zettel machte einen Aushang mit den Worten „Scheinbar gefällt euch unsere Wand ziemlich gut. Wenn ihr Lust habt, was Schönes zu machen, dann meldet euch doch bitte“.

Alexander Köhler hatte den Aushang entdeckt und abfotografiert. „Dann habe ich gleich meinen Kumpel gefragt, ob er Bock drauf hat.“ Hatte er. Philipp Becker, der schon seit zehn Jahren malt, wurde dazu geholt, die drei stellten sich den Siebers vor. Es habe von Anfang an gepasst und man habe sich recht schnell an die Planung gemacht. „Kurz bevor es dann an die Umsetzung ging, hatte sich der Dritte im Bunde leider verletzt“, erzählen sie.

Für Sprayer gibt es in Stuttgart kaum freie Flächen

Dumm gelaufen – auch deshalb, weil es für Sprayer- und Graffiti-Artists in Stuttgart kaum Freiflächengibt. Da sei die Freude groß gewesen. „Vor allem auch, weil es im eigenen Viertel ist. Das fanden wir natürlich besonders attraktiv“, sagt Becker. Und was spielte bei der Motivwahl eine Rolle? Die Siebers hätten damit nichts zu tun. „Wir haben den ersten Entwurf gesehen.“ Alex Köhler sagt: „Es hat mit der Geschichte Heslachs zu tun.“ Man sei politisch aktiv und habe dies aufgreifen wollen. „Heslach war immer ein Arbeiterviertel, politisch eher links.“ Und im Stadtteil halte man zusammen, egal, welche Nation, Seite an Seite gegen rechts. Gerade in der heutigen Zeit ein wichtiges Thema, finden die Beteiligten dieses Kunstwerks. Doch was hat es mit den vielen Händen auf sich? Sie stehen für eine Vielzahl an Menschen, im Sinne von: Gemeinsam sind wir stark.

Unterstützung gab’s da dafür von den Hauseigentümern: „Das gefällt uns gut, auch von der Message her. Da haben wir den Künstlern völlige Freiheit gelassen.“ Ende Oktober letzten Jahres sei es losgegangen, kurz vor Weihnachten war es fertig. Als das Kunstwerk in der Mache war, seien die Sprayer oft angequatscht worden. „Die Leute sind stehen geblieben, haben uns zugeschaut und Kekse geschenkt“, erinnern sich die Künstler Philipp Becker und Alexander Köhler. Auch der Graffitibeauftragte der Jugendhausgesellschaft, Florian Schupp, spricht von ausschließlich positiven Reaktionen, wenn er mit seinem Projekt Farbe an den Start geht. Er vermittelt legale Flächen an die Künstler. „Wenn man Graffiti Raum gibt, kommt was Schönes dabei raus.“

Der Stadtteil Heslach soll bunter werden

„Ach, das ist ja schön bunt“, hörte man Leute sagen. Was man da besonders gemerkt habe, so Köhler rückblickend, sei, dass die Leute es schön fänden, wenn die Stadt bunter wäre. „Aber da sind eben auch große Bedenken, was die Legalität der Sache angeht.“ Da müsse man sich laut Schupp aber keine Gedanken machen: „Wenn die Hauseigentümer das genehmigen, ist es auf jeden Fall legal.“

Und so ein Graffiti-Kunstwerk ist die viel bessere Variante, als ständig drüber zu streichen, finden Zita und Rainer Sieber. Das Pärchen wünscht sich Nachahmer, die den Stadtteil ein bisschen bunter machen wollen. „Gerade bei den heruntergekommenen Häusern.“ Man müsse nicht immer gleich alles abreißen und neu, aufgeräumt und sauber wiederaufbauen. Die Gentrifizierung Heslachs ist allen Beteiligten ein Dorn im Auge. „Cool, dass ihr dem entgegenwirkt“, sagt Alexander Köhler.