Alex Köberlein: Gute Lyrik kommt aus der trockenen schwäbischen Seele Foto: Leif Piechowski

Grachmusikoff-Chef Alex Köberlein war zu Gast beim „Auf gut Schwäbisch“-Stammtisch der Stuttgarter Nachrichten. Dort sprach der 62-jährige über die Leiden eines Rockmusikers und warum es ihn immer noch auf die Bühne zieht.

Grachmusikoff-Chef Alex Köberlein war zu Gast beim „Auf gut Schwäbisch“-Stammtisch der Stuttgarter Nachrichten. Dort sprach der 62-jährige über die Leiden eines Rockmusikers und warum es ihn immer noch auf die Bühne zieht.
 
Stuttgart - Herr Köberlein, das Motto von Grachmusikoff lautet „Too old to die young“, zu alt, um jung zu sterben. Wie geht es Ihnen?
Ich habe vier Implantate, Herzschrittmacher, Hüfte und zwei so Stücke im Hals. Aber eigentlich geht es mir gut. Sonst könnte ich nicht mehr auf der Bühne stehen. Zur Not habe ich meinen Stock dabei, wenn mich eine alte Bandscheibenverletzung plagt.
Eine Kriegsverletzung aus Schwoißfuaß-Zeiten?
Kommt vom Kistenschleppen. Unser Markenzeichen war: alles selber machen. Wir hatten keine Roadies – und keine Groupies.
Über die Rolling Stones schrieb ein Kollege: Die spielen jetzt ihre alten Songs so, wie sie gemeint waren. Wie ist das bei Grachmusikoff?
Man kriegt im Lauf der Jahrzehnte einfach eine große Routine. Man weiß, wie man mit dem Publikum umgeht. Wie man das Mikrofon hinhält, damit die Stimme am besten klingt. Musikmachen ist mein Job. Inzwischen machen wir den einfach gut – auch wenn mein Zwillingsbrüder manchmal durchdreht. Der ist ein kleiner Anarchist.
Wie äußert sich das?
Er hat den Trieb, kleine Skandale zu produzieren. In Bad Schussenried hat er mal, als der Pfarrer eine Predigt hielt, vor der Kanzel rumgekaspert. Der Rektor scheuerte ihm eine – mein Bruder pinkelte auf die Bank.
Und trotzdem ist er Ihr Zwilling?
Vielleicht ist das seine Methode, anders zu sein als sein Bruder. Er hat in der zweiten Reihe Platz genommen und Blödsinn gemacht. Ihm habe ich es zu verdanken, dass ich anfing, schwäbische Songs zu schreiben. Er hat, das war 1978, am Anfang von Grachmusikoff, „Mariechen saß weinend im Garten“ zu „D’ Marie hockt dussa und pläret“ umgedichtet. Sofort war mir klar, dass das etwas anderes ist als das Stuttgarter Schwäbisch von Wolle Kriwanek.
Mit Grachmusikoff spielen Sie auch alte Schwoißfuaß-Songs, aber anders arrangiert.
Alles verändert sich, auch die Sprache. Da Musik eine Sprache ist, ändert auch die sich. Wir entwickeln Lieder weiter – und manche lassen wir weg, etwa den Schwoißfuaß-Song „Nacht ohne Froga“. Darin heißt es: „Ich bin so weit weg von Dir, in dera Nacht ohne Froga.“ Das ist Lyrik, die nicht aus der trockenen schwäbischen Seele kommt.
Was war Ihr größter Erfolg?
Wenn wir eines erreicht haben, dann das, dass wir die Probleme von Pubertierenden in Songs gepackt haben. „Oiner isch emmr dr Arsch“ war für manche schockierend, für viele Junge war der Song eine Erleuchtung: „Mann, ich bin ja nicht der Einzige, dem es so geht.“ So sind wir zu Recht als das Sprachrohr der damals aufmüpfigen Jugendlichen bezeichnet worden.
Angeblich soll der Chef des Plattenkonzerns Emi Schwoißfuaß einen Plattenvertrag angeboten haben. Und Sie hätten nur gelacht.
Das war noch viel irrer. Der Chef von Emi, der später Europachef wurde, hat mitgekriegt, dass BAP und Spider Murphy Gang mit ihren Dialekt-Songs Hunderttausende Platten verkaufen. Als er bei mir mittags in Reutlingen anrief, waren meine Mitmusiker gerade dabei, auf dem Boden sitzend Schwoißfuaß-Platten einzutüten. Wir haben damals zehntausend Platten aus dem Wohnzimmer heraus verkauft. Auch ohne Emi. Deshalb habe ich gelacht – und abgelehnt.
Haben Sie das jemals bereut?
Nie.
Es hätte der Start einer riesen Karriere sein können.
Habe ich eine schlechte Karriere hinter mir? Es gibt so viele Leute in dem Gewerbe, die mit dem Erfolg nicht klarkommen. Ich weiß, wovon ich rede: Als ich eine Solokarriere begann, kam ich schnell an den Punkt, an dem ich mich fragte, was der Typ auf der Platte mit mir zu tun hat. Insofern haben wir das prima hingekriegt: Wir können immer noch Musik machen – ohne abzuheben.
Was motiviert Sie, trotz Wehwehchen, weiter auf die Bühne zu gehen?
Zum einen brauche ich das Geld, zum andern ist es der tollste Beruf. Wir schreiben heute noch Lieder, haben ein klasse Stammpublikum – es kann nicht sein, dass ich irgendwann meine eigene Tanzkapelle bin.
Sind Sie nun vom Sprachrohr der Jugend zum Sprachrohr der Senioren geworden?
Unsere Themen drehen sich immer mehr ums Älterwerden, um den Tod. Aber gerade da ist es wichtig, dass du nicht depressiv wirst, sondern philosophisch – und den Menschen eine Perspektive gibst. Wenn ich das nett mache, können die Leute sich etwas über den Tod anhören, ohne dass sie auf eine Beerdigung müssen. Oder in die Kirche.