Endlich auch für den Verkehr geöffnet: Nun fahren die Züge durch den neuen Gotthadtunnel. Foto: dpa

Tunnel garantieren Lärmschutz und Fahrzeitgewinn, kommentiert unser Redakteur Frank Schwaibold.

Stuttgart - Der Süden rückt näher, und die Schweizer feiern. Denn mit dem Fahrplanwechsel im Dezember verkürzt sich die Reisezeit vom Norden nach Italien durch den neuen Gotthardtunnel im ersten Schritt um 30 Minuten. Erst ab Ende 2020 werden die Kunden aber vom vollen Reisezeitgewinn von rund einer Stunde zwischen der Deutschschweiz und Bella Italia profitieren. Bei der Güterbahn muss man sich sogar bis 2035 gedulden, ehe der eigentliche Nutzen erzielt werden kann. Und das, obwohl sich die Schweiz, Deutschland und Italien schon vor 20 Jahren im Vertrag von Lugano verpflichtet haben, die Achse von Rotterdam bis Genua auszubauen. Doch Deutschland und Italien hinken bei den Zulaufstrecken gewaltig hinterher.

Investitionen von elf Millionen Euro

Die neue Gottharddurchquerung ist das Herzstück der Strecke. Auf 57 Kilometer Länge können die Personenzüge mit Tempo 250 durch den Berg rasen. Auch für den Güterverkehr gibt es Fortschritte. Konnten bisher täglich 160 Güterzüge auf der Nord-Süd-Achse verkehren, sind es nun 210 Züge. Das alles kostete viel Geld. Für den längsten Tunnel der Welt betragen die Investitionen rund elf Milliarden Euro. Da stellen sich gleich zwei Fragen: Was sind solche Verträge wie der von Lugano eigentlich wert, wenn sie nur einer von drei Partnern ernst nimmt? Und sind solch teure Tunnel eigentlich nötig? Beantworten wir zunächst die erste Frage. Für Deutschland und Italien ist es eine Schande, dass man den Partner Schweiz so hängen lässt. Seit 1996 gibt es den Staatsvertrag – doch der Ausbau der Rheintalbahn auf vier Spuren wird bis 2035 dauern. Viel zu lange ignorierte die Bahn die Interessen der Anwohner entlang der Strecke. Bürgerinitiativen, Proteste und unzählige Einsprüche waren die Folge. Planung und Bau verzögerten sich immer wieder. Allein für den Bau des Offenburger Tunnels für Güterzüge sind 20 Jahre veranschlagt. Der südliche Nachbar Italien hinkt ebenfalls hinterher. Der Ceneri-Tunnel wird erst Ende 2020 fertiggestellt sein. Dann reist man ins Südtessin 45 Minuten schneller als heute.

Zahl der Opfer niedrig

Ohne die Tunnel allerdings bliebe alles Stückwerk. Die Bauwerke stellen höchste Anforderungen an Ingenieure und Mineure – vor allem, wenn schwierige Gesteinsschichten durchbrochen werden müssen. Das ist aktuell auch beim Projekt Stuttgart 21 zu erleben. Hier führt ein Teil der Strecke durch Anhydrit. Käme es zum Wassereintritt, würde das Gestein aufquellen. Die Bahnexperten sind zuversichtlich, das Risiko zu beherrschen. Andere Experten bezweifeln dies. Auch beim Gotthard mussten die Tunnelbauer mehrfach bangen. Als besonders problematisch galt die Piora-Mulde – ein Streifen lockeren Dolomitgesteins, der quer durch die Alpen läuft. Bei einer Testbohrung hatten 5600 Kubikmeter dieses wassergesättigten Breis einen Probestollen geflutet. Doch beim eigentlichen Tunnel fand sich dann unter dem Material noch eine Zone harten Dolomitmarmors – und darin ließ sich gefahrloser bauen. Zumal die Tunnelbauer inzwischen große Erfahrung und großes technisches Wissen haben. Das zeigt auch die Zahl der Opfer. Wegen erheblich sicherer Bauverfahren kamen beim neuen Gotthardtunnel „nur“ neun Arbeiter ums Leben. Beim Bau des ersten Gotthardtunnels zwischen 1872 und 1882 waren es 199 Todesfälle.

Zu spät informiert

Auch Stuttgart 21 wäre ohne Tunnel wenig sinnvoll. Sie garantieren Lärmschutz und Fahrzeitgewinn. Dass das Vorhaben viel umstrittener ist als die neue Alpentransversale, hat andere Gründe: Für den Güterverkehr gibt es wenig Nutzen, die möglichen Vorteile im Schienenpersonennahverkehr drohen an Spardiktaten zu scheitern, und im Gegensatz zu den Schweizern wurde die Bevölkerung viel zu spät umfassend informiert.

frank.schwaibold@stzn.de