An jedem zweiten Mittwochnachmittag klingelt die Medienbotin Gabriele Roth in der Lorcher Straße. Foto: Ines Rudel

Medienboten besuchen in Göppingen Menschen, die nicht mehr selbst in die Stadtbibliothek gehen können. Sie bringen nicht nur Lesestoff oder Filme vorbei, sondern haben auch ein offenes Ohr.

Göppingen - Kaffeeduft empfängt Gabriele Roth schon im Flur. Die Medienbotin wird sehnsüchtig in der Wohnung in der Lorcher Straße erwartet. Doris Staffen sitzt dort auf ihrem Sofa, umgeben von Fotos, Büchern, Spielsachen und Gemälden, und strahlt. „Frau Roth ist wie eine Freundin, die Bücher bringt. Das ist eine tolle Sache“, sagt sie und linst neugierig auf den Stapel, den die Medienbotin auf den Tisch packt – Stoff für die nächsten zwei Wochen. Dann kommt Gabriele Roth wieder. Jeden zweiten Mittwochnachmittag.

Das Reich von Doris Staffen beschränkt sich auf die eigenen vier Wände. Die knapp 70-Jährige ist nicht mehr gut zu Fuß und fühlt sich im Getriebe der Stadt unsicher. Umso glücklicher ist sie, dass nun die Bücher zu ihr kommen. Und nicht nur das, sie schätzt auch das Gespräch mit Gabriele Roth, die sie schon einige Male besucht hat. Erstaunlich findet Doris Staffen vor allem, dass ihre Medienbotin ihren Geschmack genau zu kennen scheint. „Sie bringt mir Sachen, die hätte ich mir selbst aussuchen können.“

Projekt ist gut gestartet

Doch manchmal steckt etwas schwerere Kost in dem Stapel. Französische Filme etwa. Doris Staffen, ein bekennender John-Wayne-Fan, findet sie fad. Die meisten zumindest. Doch als sie sich die von Gabriele Roth ausgesuchten Videos anschaute, war sie begeistert. „Die waren richtig schön, vor allem ,Der Schmetterling‘.“

Gabriele Roth ist eine von 15 Medienboten, die im Auftrag der Göppinger Stadtbibliothek unterwegs sind, um Menschen, die durch ihr Alter, eine Krankheit oder Behinderung in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, den Zugang zu Literatur zu ermöglichen und ihnen ein wenig Zeit zu widmen. Bevor sie Doris Staffen regelmäßig besuchte, hat sie an einer Schulung teilgenommen, die sie auf diese Aufgabe vorbereitet hat. Wichtig sei, sich selbst hintanzustellen und zuzuhören, erläutert Heiko Proft, der für dieses Projekt in der Stadtbibliothek zuständig ist. Er ist auch bei jedem Erstbesuch dabei und vermittelt die Medienboten. Doris Staffen und Gabriele Roth bescheinigen ihm dabei eine gute Hand.

Heiko Proft freut sich über den gelungenen Start des Projekts, das die Stadtbibliothek gemeinsam mit dem örtlichen Seniorennetzwerk und dem Bündnis für Familie Göppingen aus der Taufe gehoben hat. Er hofft, dass sich noch mehr Menschen melden, die gerne von einem Medienboten besucht werden möchten. Um die Schwellenangst zu nehmen, spricht er oft Menschen an, für die dieses Angebot infrage kommt.

Ein Thema ergibt das andere

Für Gabriele Roth wiederum ist dieses Ehrenamt keine Last. Erst vor Kurzem ist die frühere Kindergärtnerin nach 40 Jahren wieder in ihre Heimatstadt Göppingen zurückgekehrt. „Da ist man dann wieder fremd“, erzählt sie. Durch das Projekt habe sie Kontakte bekommen und mache auch etwas Sinnvolles. Einen Tag bevor sie zu Doris Staffen geht, ist sie in der Bücherei auf der Suche nach passenden Medien zu finden. Die Besuche in der Lorcher Straße empfindet die 60-Jährige als Bereicherung. Ein Thema ergebe das andere. Es gehe um Bücher, Hörbücher, Filme, aber auch um Privates. Nach Ende ihres Besuches führt ihr erster Weg wieder in die Bücherei, um zurückzubringen, was bereits gelesen, gehört oder gesehen wurde. Doris Staffen vertieft sich dann schon in die neuen Bücher. Je älter sie werde, sagt sie, desto lieber seien ihr Liebesgeschichten.

Allzu weit verbreitet ist ein Angebot, wie es die Göppinger Medienboten darstellen, indes noch nicht. „Punktuell gibt es so etwas, meist in Kooperation mit anderen Einrichtungen, zwar immer wieder mal“, erklärt Monika Ziller, die Geschäftsführerin des Bibliotheksverbands Baden-Württemberg. In der Region Stuttgart falle ihr aktuell jedoch nichts Vergleichbares ein.