Gökay Sofuoglu ist seit Mai 2014 Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde Deutschland und sorgt sich um die Demokratie in seiner türkischen Heimat. Foto: dpa

Die Türkische Gemeinde in Deutschland will die Pläne des türkischen Staatschefs Erdogan durchkreuzen, mit einem Referendum ein Präsidialsystem durchzusetzen. Bundeschef Gökay Sofuoglu aus Stuttgart erklärt die Motive.

Stuttgart. - Herr Sofuoglu, mit einer Nein-Kampagne will die Türkische Gemeinde in Deutschland dafür werben, beim geplanten Referendum die Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei abzulehnen. Was sind Ihre Motive?
Wir planen 400 Veranstaltungen bis zum 9. April, weil wir denken, das es jetzt nicht um die Wahl eines Ministerpräsidenten oder einer Regierung in der Türkei geht. Sondern es ist eine Richtungsentscheidung, bei der 1,4 Millionen Menschen in Deutschland mit darüber abstimmen können, ob die Türkei sich demokratisch oder weiter in Richtung Autokratie entwickelt. Unsere klare Haltung dazu ist: Wer eine demokratische Türkei will, muss Nein zu dieser Verfassungsänderung sagen.
Erstmals mischt sich die Türkische Gemeinde in Deutschland in eine innenpolitische Entscheidung in der Türkei ein – ist sie geschlossen in dieser Hinsicht?
Zumindest haben wir die Kampagne in einer Versammlung der 45 Vertreter aus den Mitgliedsverbänden bundesweit einstimmig beschlossen. Aber natürlich gibt es den einen oder anderen auch bei uns im Verband, der eine andere Meinung hat.
Wo sollen die mehr als 400 Veranstaltungen mit Künstlern, Akademikern und Unternehmern stattfinden – auch in Moscheen?
Ganz unterschiedlich. Wir versuchen allerdings, die Moscheen als Veranstaltungsorte da herauszuhalten, weil sie nicht unbedingt Orte der politischen Auseinandersetzung sein sollten. Aber wir gehen in die Mitgliedsvereine und werden viele Hausbesuche machen – ich werde jetzt schon vielfach dorthin eingeladen, wo es keine Vereinsstrukturen gibt. Das summiert sich sehr schnell. Wir werden auch soziale Medien sehr stark in Anspruch nehmen, weil das wahre Leben sozusagen sich inzwischen dort abspielt. Es kann zudem Infostände auf den Plätzen geben. Wir denken aber, dass die deutschen Straßen von Großkundgebungen und Demonstrationen verschont bleiben sollten, was türkische Politik angeht.
Welche Erfolgsaussichten sehen Sie für Ihre Kampagne?
Die 1,4 Millionen Stimmen in Deutschland könnten wahlentscheidend sein. Sehr viele Menschen haben sich bisher von der Auseinandersetzung in der Türkei ferngehalten. Doch die Stimmung der Ablehnung wächst immer mehr. Ich gehe davon aus, dass es hier mehr Nein-Stimmen als Ja-Stimmen geben wird. Die Erdogan-Anhänger dürften ihr Potenzial ausgeschöpft haben. Selbst die Zahl der AKP-Wähler, die gegen dieses Präsidialsystem sind, wird immer größer – diese sind auch unsere Zielgruppe.
Haben Sie auch Gegner?
Die Befürworter der Verfassungsänderung haben ja schon angefangen mit ihren Wahlveranstaltungen - mit Ministern und Abgeordneten aus der Türkei. Das ist auch okay.
Werden Sie schon persönlich angefeindet?
Es wird auf jeden Fall seitens der türkischen Regierung polarisiert, weil die Nein-Sager mit Terrorismus in Verbindung gebracht und als Vaterlandsverräter denunziert werden. Ich versuche daher auch, den Namen des Staatschefs bei meinen Veranstaltungen gar nicht in den Mund zu nehmen.
Fürchten Sie gar um Ihr Wohlergehen?
Wir leben hier in einer Demokratie, in der Meinungsfreiheit das höchste Gut ist – davon profitieren alle Gegner und Befürworter. So gehe ich davon aus, dass man sich nicht gegenseitig verhindert.
Was halten Sie davon, dass Staatschef Erdogan womöglich bald persönlich in Deutschland Wahlkampf für das Präsidialsystem machen will?
Ich bin weder dafür noch dagegen – es ist seine Entscheidung. Ich lade ihn nicht ein, nach Deutschland zu kommen, sehe das aber gelassen. Für den Fall, dass er kommt, ist Deutschland eine starke Demokratie, die Erdogan auch zum x-ten Mal ertragen kann. Aber dann erwarte ich auch von ihm, dass er Menschen erträgt, die eine andere Meinung vertreten als er selbst. Er muss mit Gegenwind rechnen, das gehört zur Demokratie dazu.
Aber ein Auftritt von Erdogan hierzulande würde die türkische Gesellschaft in Deutschland noch mehr spalten?
Das emotionalisiert auf jeden Fall. Die Spaltung der türkischen Gesellschaft ist aber nicht neu – sie hält schon seit vier, fünf Jahren an. Die Regierung versucht nun eine Abstimmung auch über die Person Erdogan. Und wir wollen dagegen setzen, dass es uns um die Demokratie in der Türkei geht – nicht um Erdogan.