Klaus Sattler von der Lotto-Zentrale Baden-Württemberg tippt selber seit vielen Jahren – und er sagt den Gewinnern, was sie mit den Millionen tun sollen Foto: dpa

Es ist ziemlich selten, dass ein Lottospieler einen Millionengewinn macht. Doch wenn es klappt, kommt es auf eine gute Beratung und großes Einfühlungsvermögen an.

Stuttgart - Wenn das große Glück doch einmal zuschlägt, nie erwartet, immer erhofft, plötzlich da, dann kann es sein, dass der Glückliche kurz darauf in einem kleinen Konferenzraum Klaus Sattler zu Gesicht bekommt. In der Lotto-Zentrale Baden-Württemberg in Stuttgart, Nordbahnhofstraße 201. Wohin man jeden sogenannten Großgewinner einlädt zu einem Erstgespräch. Bei dem auch immer Klaus Sattler mit am Tisch sitzt, Pressesprecher und Gewinnübermittler von Lotto Baden-Württemberg, im Unternehmen schon seit 1989.

Ein Mann von 62 Jahren mit großem Einfühlungsvermögen, leutseliger Art und freundlichem Gesicht. Der nun im Glückszimmer empfängt, wie man intern diesen Raum hier nennt. Seit ein paar Tagen wartet er auf jenen der beiden Gewinner des 30-Millionen-Jackpots, der aus Baden-Württemberg stammt. Dem man eine Einladung geschickt hat an jene streng geheim gehaltene Adresse, hinter der sich wieder jemand verbirgt, den das Unfassbare ereilt hat. Der bei einer Wahrscheinlichkeit von 1 zu 140 Millionen der eine war aus über zwanzig Millionen Menschen, die regelmäßig fünf Milliarden Euro investieren, um auf „dem größten Spielfeld der Nation“ (Sattler) mitzuspielen. Die sich für ein paar Euro Woche für Woche an einer der 24 500 Annahmestellen in Deutschland mit dem Lottoschein eine neue Baugenehmigung für ein Luftschloss holen. Und währenddessen Tag um Tag, Woche um Woche, Jahr um Jahr, bis zum großen Glück, zum Knacken des Jackpots oder eben doch bis zur Rente weiter arbeiten gehen.

Doch irgendwo, irgendwann, bei irgendwem ist es dann so weit. Tatsächlich. Auf einmal ist alles anders. Ein Traum wird wahr. Und trotzdem alles kompliziert zunächst. Das Verschweigen, beispielsweise. Am liebsten würde man es ja jedem verraten. In der Regel aber tut man es nicht. Neid wäre meist die Folge oder falsche Freundschaft.

„Außerdem“, sagt Klaus Sattler, „müssen die vom Glück Getroffenen auch erst mal damit fertig werden, dass sie nun über Millionen verfügen.“ Oscar Wilde habe ja mal geschrieben, sagt Sattler und lacht: „Wenn die Götter uns bestrafen wollen, erhören sie unsre Gebete.“ Was er natürlich nicht wirklich ernst meine, denn ein Millionengewinn sei doch grundsätzlich mal nichts Negatives.

Im Gegenteil. Nur eben völlig surreal. Gerade auch, weil doch zumindest die meisten Lotto spielten, die nicht schon reich sind oder immer schon waren und an den Umgang mit viel Geld gewöhnt sind.

Kommt ein Millionengewinner hierher, meist mit Partner, das Auto in der Anonymität der Tiefgarage geparkt, mit dem Aufzug direkt in den ersten Stock gefahren, begrüßt und umarmt von Sattler, platzt oft die aufgestaute Freude aus ihm heraus. Sattler wird zum Beichtvater des Glücks.

Man erzählt ihm, welche Zahlen man gespielt hat, oft Geburtsdaten, Lieblingszahlen, selten die 13, statistisch die am seltensten getippte Zahl, manchmal auch von den Eltern vererbte Zahlen. Er hört Geschichten von der lange schon ersehnten Weltreise, die immer nur mit dem Finger auf dem Globus stattfand. Er erfährt vom Wunsch, nun endlich den ungeliebten Bürojob aufgeben zu können und eine eigene Heilpraktikerpraxis zu eröffnen. Vom Traum eines selbstbestimmten Lebens, den man ohne finanzielle Zwänge nun verwirklichen kann. Sattler hört aber auch von der Ironie des Schicksals. Von einem Millionen-Gewinner, der zwanzig Jahre Lotto spielte bis zum großen Jackpot, zuvor aber an Krebs erkrankte und schon gezeichnet davon zu Sattler kam.

Einmal gespielt, Jackpot geknackt

Und dann gibt es die Geschichten von jenen, die ein einziges Mal spielen und den Jackpot abräumen. Von demjenigen beispielsweise, der kein Kleingeld dabeihatte für die Parkuhr. Die nächstmögliche Gelegenheit, es einzutauschen, war eine Lotto-Annahmestelle. Er tauschte einen Zehn-Euro-Schein und kaufte sich dabei auch gleich zum ersten Mal im Leben einen Lottoschein. Am Ende hatte er die Kosten für einen Strafzettel gespart. Und dazu noch den Jackpot mit neun Millionen Euro gewonnen.

Die Bewirtung bei Lotto wird bewusst sachlich und bescheiden gehalten: Kaffee, Kuchen, Saft. Alkohol wird bei den Gesprächen eigentlich nie ausgeschenkt. Millionen wirken euphorisierend genug. Da brauche es nicht noch Alkohol. Vielleicht mal ein Piccolo oder ein kleines Bier. „Die Leute sollen hier mit klarem Verstand wieder rausgehen.“ Außerdem müssten die meisten ja auch noch Auto fahren. Und arbeiten. Denn viele der etwa 300 Millionengewinner, die Sattler in den letzten 25 Jahren begrüßt hat, seien in ihrer Mittagspause gekommen.

Was er den Gewinnern rät? Ruhe bewahren. Minderjährigen Kindern nichts erzählen. Von dem Kindergarten oder der Schule würde die Kunde von den Lottomillionen schnell nach außen dringen. Sich langsam an das Geld gewöhnen. Erst mal alltägliche Anschaffungen machen, die schon länger anstehen – eine neue Waschmaschine, ein neuer Fernseher. Vielleicht eine neue Küche. Danach ein Urlaub, mal vier statt drei Sterne. Den Ferrari erst mal weglassen. Genauso den überhasteten Kauf einer Villa. Sich aber auch nicht gleich zu viel Gedanken machen darum, wie man das Geld nun sichern oder gar gleich noch weiter vermehren kann. „Sonst hat man gleich wieder dieselben Sorgen um die Finanzen wie davor.“

Sattler hat als Kind jeden Samstag mit dem Fahrrad den Lottoschein der Eltern zur nächsten Annahmestelle gefahren. Er ist selbst Lottospieler, nun schon seit über 40 Jahren. „Den ultimativen Rat haben wir letztendlich natürlich auch nicht“, räumt er ein. Aber nach einem Millionen-Gewinn, der mit viel Glück wahrscheinlich nur einmal im Leben vorkomme, solle man ja auch nicht einfach so weiterleben wie zuvor. „Genießen, nicht verschwenden,“ sagt er und lächelt. Nicht wie der berühmte Lotto-Lothar Mitte der 90er Jahre, der 3,9 Millionen Mark gewann, sich danach unter seinem Motto „Lotto, Lothar, Lambo“ in Exzesse stürzte und fünf Jahre nach dem Gewinn geschieden und mittellos starb.

Natürlich hat Sattler nicht bei allen, die den Raum wieder verlassen, ein gutes Gefühl. Bei jener Frau beispielsweise, die fünf Millionen gewonnen hatte und mit Mann und ihren beiden erwachsenen Söhnen zu ihm kam. Die während der ganzen Zeit nur still dabei saß, während alle anderen große Pläne schmiedeten mit dem Erlös ihres Lottoscheins. Bei den meisten aber hat er schon die Hoffnung, „dass sie zumindest das Potenzial haben, um damit glücklich zu werden im neuen Leben“. Und freuen würde er sich mit jedem Einzelnen. „Anders würde das auch gar nicht funktionieren.“ Jemand, der dabei Missgunst empfindet, wenn andere gewinnen, würde ja durchdrehen, wenn er jede paar Wochen einen Millionengewinner vor sich sitzen hätte.

Einen letzten Rat gibt er jedem zum Schluss immer mit auf den Weg: Weiterspielen. Es kann noch mal klappen. Immerhin saßen in den Jahren drei Millionengewinner ein zweites Mal bei ihm. Nicht mehr, weil sie Rat brauchten. „Wohl eher aus sentimentalen Gründen“, sagt Sattler. Er selbst spielt auch ohne großen Gewinn weiter. Bislang hat es nur mal zu vier Richtigen und 80 Euro gereicht. Aber wer weiß. „Wobei“, sagt Sattler „ich bin jetzt 62, da wär’ ein bisschen mehr Zeit fast noch besser als das viele Geld.“ Er lächelt: „Aber einen Zeit-Jackpot gibt es ja leider nicht.“