Nach Aschermittwoch gibt es nur noch Wasser statt Bier und Wein. Wer vorfastet, tut sich leichter. Foto: dpa

Es braucht es nur ein wenig Kreativität – und das Fastenthema ist (fast) keines mehr. Die Lösung heißt Vorfasten und muss auf jedem Fall vor Aschermittwoch beginnen, meint Autor Jürgen Löhle.

Stuttgart - Jetzt sieht man sie wieder scharenweise in der Stadt. Menschen mit offenkundig schlechter Laune. Statt Faschingstrubel hat sich in ihren Köpfen bereits die Angst vor Aschermittwoch breitgemacht. Statt voller Lust in einen vor Marmelade triefenden Berliner zu beißen, gibt man sich jetzt schon dem Aschermittwoch-Blues hin, schlürft das Gsälz mit schlechtem Gewissen und bibbert dunklen Zeiten der Entsagung entgegen. Noch ein paar Tage, dann heißt es wieder Verzicht. Zumindest wenn man nicht auffallen will oder rechtzeitig zum Starkbieranstich nach Bayern auswandert.

Dabei braucht es nur ein wenig Kreativität – und das Fastenthema ist (fast) keines mehr. Die Lösung heißt Vorfasten und muss auf jedem Fall vor Aschermittwoch beginnen. Während sich in den tollen Tagen das Faschingsvolk entschlossen süßem Gebäck und Alkohol hingibt, geht der Vorfaster öffentlich in Askese, trinkt ostentativ Mineralwasser zu einem Dialog von Tofu mit Dinkelsemmel. Dazu rezitiert er Passagen aus esoterischen Heilfasten-Schriften, damit auch wirklich jeder merkt, dass hier einer ernsthaft versucht, sich Gutes zu tun. Das Ganze hat spielentscheidende Vorteile. Der Vorfaster genießt zum Beispiel Reputation in seinem Umfeld, und er kann am Faschingshöhepunkt stocknüchtern die Abgründe heimischen Frohsinns beobachten und innerlich jubeln, nicht mitmachen zu müssen. Obendrein kann er sich dann am Aschermittwoch in aller Ruhe ein Viertele gönnen. Und wenn einer fragt, warum, ist die Antwort klar: Für den frühen Faster endet die Askese traditionell immer an Aschermittwoch. Das müsste in Zeiten alternativer Wahrheiten eigentlich reichen.