Extrem heikel in Ludwigsburg: Liegestuhl und Sonnenschirm, und das auch noch zweifarbig. Geht gar nicht. Foto: Fotolia

Zwei Sternstunden lang reden die Ludwigsburger Stadträte über Pflanzen, Stühle, Schirme – und vor allem viele Regeln. Denn die Stadt soll schön bleiben. Und was schön ist, entscheidet die Stadt. Eine Glosse.

Ludwigsburg - Es heißt ja, politische Debatten seien langweilig. Aber es gibt durchaus Sternstunden des Parlamentarismus. Als etwa der Bundestag frei von allen Parteizwängen über Sterbehilfe diskutierte, erklärten Zuhörer danach, sie hätten eine Gänsehaut bekommen. In der Kommunalpolitik sind Debatten ebenfalls manchmal weniger spannend und manchmal sehr spannend – auch wenn uns die spannenden gerade nicht einfallen. Aber eine Sitzung wie jene des Ludwigsburger Bauausschusses am Donnerstag – die gab es so noch nie.

In diesem Gremium werden regelmäßig Millionen von Euro bewegt, wegweisende Projekte beschlossen – oder wenigstens, dass irgendwo ein Mülleimer installiert werden muss. Dinge also, die irgendwie wichtig sind. Am Donnerstag ging es um die Größe von Pflanzgefäßen, den Inhalt von Pflanzgefäßen und die Platzierung von Pflanzgefäßen. Viel auch um die Farbe von Stühlen. Oder um Schirme. Das nicht nur eine Sternstunde lang, sondern zwei.

Was hat die Stadt bloß gegen immergrüne Pflanzen?

Überschrieben ist der Tagesordnungspunkt mit dem wenig vielversprechenden Titel: „Sondernutzungssatzung – Fortschreibung der Richtlinien“. Über diese Satzung ist schon häufig gesprochen und meist gestritten worden, denn die Stadtverwaltung will damit regeln, was Gastronomen und Einzelhändler dürfen und was nicht. Damit die schöne Stadt schön bleibt. Und was schön ist, bestimmen Stadträte und Verwaltung. Damit das seine Ordnung hat.

Nicht schön sind immergrüne Pflanzen. Die Stadt will auf dem Marktplatz keine Bepflanzung von Pflanzgefäßen mit immergrünen Pflanzen. Heißt es im Entwurf der Satzung. Weshalb am Donnerstag eine Stadträtin empört in die Runde fragt: „Was haben Sie denn gegen immergrüne Pflanzen?“ Schulterzucken bei dem Sitzungsleiter und Bürgermeister Michael Ilk: „Haben wir was gegen immergrüne Pflanzen?“ Woraufhin eine seiner Mitarbeiterinnen eine Erklärung abgibt, die niemanden richtig überzeugt. Den Wortlaut danach sollte man möglichst getreu wiedergeben, um einen Eindruck von der Qualität des intellektuellen Austauschs zu vermitteln. Ilk: „Lassen wir... sollen wir immergrüne Pflanzen zulassen? Wer das zulassen will, jetzt bitte melden.“ Einige Finger gehen hoch. Ein Stadtrat: „Wie jetzt?“ Ein anderer: „Muss ich mich melden, wenn ich die Pflanzen zulassen will – oder nicht?“ Einige Finger gehen wieder runter. Ilk: „Halt! Also...“ Eine Stadträtin: „Melden wir uns, wenn wir das Verbot rausnehmen wollen oder wenn wir die Pflanzen raushaben wollen?“ Ein anderer Stadtrat: „Wir werden hier noch zu Gärtnern.“ Eine Stadträtin: „Darf man denn einen Buchsbaum in Brezelform auf den Platz stellen?“ Gelächter. Ilk: „Bitte, jetzt konzentrieren wir uns nochmal alle.“

Es geht noch eine Weile so weiter, und wenn man es nicht besser wüsste, könnte man glauben, der gesamte Ausschuss sei vor der Sitzung auf dem benachbarten Weihnachtsmarkt in einen Kessel Glühwein gefallen.

Die Verwaltung will niemanden gängeln, sagt sie. Ist klar.

Immergrüne Pflanzen sind nun übrigens doch erlaubt. Liegestühle jedoch nicht, und Stehtische nur in Ausnahmefällen. Sonnenschirme sind erlaubt, aber nur mit einheitlicher Farbgebung und bis zu einem Durchmesser von vier Metern, und auch an quadratische Schirme wurde gedacht, die dürfen eine Kantenlänge von ebenfalls vier Metern haben. Werbung auf den Schirmen: verboten: Werbung am Rand der Schirme: erlaubt. Grelle Farben: strengstens verboten. Apropos Farbe: intensiv wurde erörtert, ob Tische und Stühle in der Außengastronomie eine einheitliche Farbe haben müssen, denn eine einheitliche Farbe, findet die Stadt, ist schon wichtig. Sofort legt ein findiger Stadtrat den Finger in die Wunde: „Was ist, wenn das Tischgestell eine andere Farbe als die Tischoberfläche hat?“ Das sei kein Problem, beruhigt ihn Martin Kurt, der Chef-Stadtplaner. Stühle in unterschiedlichen Farben oder unterschiedlicher Form – das gehe natürlich nicht. Aber das Gestell spiele keine Rolle. Man wolle mit der Satzung ja niemanden gängeln.

Ist klar. Tatsächlich zeigt man sich in einigen Punkten kulant. Giftpflanzen zum Beispiel dürfen, entscheidet die Mehrheit, überall hingestellt werden. Denn, wie ein Stadtrat anmerkt: „Wer Pflanzen isst, ist selber Schuld.“ Ob der Mann Kinder hat, wissen wir nicht, aber er erntet wohlwollendes Gelächter. Es ist der Moment, in dem sich alle vergewissern: so uncool sind wir gar nicht. Hahaha. Bei uns sind sogar Giftpflanzen erlaubt. Wer braucht schon Liegestühle, wenn es Giftpflanzen gibt. Sowieso, es wird viel gelacht. Weshalb Ilk nochmal allen klar macht, worum es hier geht: ein „sehr wichtiges Thema“ nämlich. Darum, dass Ludwigsburg „sein ordentliches, schönes und sauberes Stadtbild“ rettet. So richtig cool klingt das nicht.

Angesichts der Vielzahl von Einzelregelungen muss in der nächsten Sitzung im Dezember erneut über die Satzung geredet werden. Danach nochmal im Gemeinderat. Ein Glück. Als ganz am Ende dann wieder jemand einen Kalauer in die Runde wirft, bringt Michael Ilk ihn zur Räson: „Bitte bleiben Sie ernst!“