Glen Hansard in der Liederhalle Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Sehr licht sind die Reihen im Zuschauersaal am Mittwochabend, beim Auftaktkonzert des zweiten New Fall-Festivals in Stuttgart, aber Glen Hansard, irischer Songwriter jenseits gängiger Schubladen, versteht es, von der Liederhalle Besitz zu ergreifen.

Stuttgart - Es wird ein langer Abend, der erst nach 23 Uhr endet. Hamed Shahi Moghanni, Leiter des New Fall-Festivals, betritt zuerst die Bühne, spricht zur Eröffnung; dann singt Lasse Matthiessen, Songwriter mit wenigen Akkorden nur, geboren in Kopenhagen, einer, den man spontan irgendwo bei Bon Iver einordnen möchte, der aber schnell eigenes Format zeigt. Matthiesen bringt alle Ruhe der Welt mit auf die Bühne und wirkt dort, am ersten Abend des New Fall-Festivals, ausgesprochen gut platziert. Mit Bariton und Kopfstimme, hingehauchten Melodien, spärlichen Noten, jeder Menge Melancholie und einen rabenschwarzen Country-Song ganz zuletzt zieht er das Publikum in seinen Bann, bereitet die sehr innige Stimmung vor, die nach der Pause Glen Hansard empfangen wird.

Bei Hansard, dem bärtigen Mann aus Dublin, der vor elf Jahren mit „Falling Slowly“ den Oscar für den besten Filmsong holte, liegt vom ersten Augenblick an Ekstase in der Luft. Der Beethovensaal der Liederhalle ist zwar bemerkenswert schlecht besucht - rund 1300 Karten wurden im Vorverkauf abgesetzt, weitere 200 an der Abendkasse, die Lücken in den Zuschauerreihen sind nicht zu übersehen - aber wer kam, der brachte Leidenschaft mit. Glen Hansard ist 47, trat 1992 als Gitarrist in Alan Parkers erfolgreichem Musikfilm „The Commitments“ auf, schrieb „Falling Slowly“ für den Film „Once“ seines früheren Bandkollegen John Carney, spielte auch die Hauptrolle eines Straßenmusikers in diesem Film, schrieb auch einen Song für „Die Tribute von Panem“.

Versunken in Erzählungen

Hansard tritt in Stuttgart erst alleine auf, mit Gitarre, und erweist sich dabei schnell als ein sehr vielseitiger Berserker. Zupfte Matthiessen eben noch an zarten Tönen, schlägt Hansard kräftig zu und treibt seine raue Stimme schon beim zweiten Song in fast schmerzhaft emotionale Höhen. Der Songwriter, Geschichtenerzähler, der oft lange in seinen Erzählungen versinkt, Freunde und kluge Bardamen heraufbeschwört, kann in Momenten an einen anderen Musiker erinnern, den man beim New Fall-Festival 2017 in Stuttgart eben auch gerne erlebt hätte, an Thurston Moore.

Wie Moore legt Glen Hansard in vielen Songs einen harten Minimalismus der Gitarre vor, ein rasendes Stakkato aus Schlägen, das zu einer Wand aus weißem Lärm wird, das andauert, während er schreit, sich halb aufrichtet. „Time will be the Healer“ heißt ein Song des frühen Abends, und spät wird Glen Hansard wieder von Heilung sprechen, von den Kräften, die er in Stuttgart spürt: Große Katharsis, und dann wieder die gespannte, melodiöse Ruhe, auch einmal am Klavier, auch einmal mit Drumsounds, die so scheint es, über eine schlichte Tonbandmaschine eingespielt werden, die neben dem Hocker des Sängers steht.

Die eine wahre Songzeile

Glen Hansard singt einen Song Woody Guthries, begleitet sich bei diesem Song sehr originell auf der Ukulele. „Coyote“, seine Version eines Joni Mitchell-Songs, singt er nicht. Aber er verrät ein Geheimnis, das er mit Mitchell teilt. Vor vier Jahren gehörte er zu dem Musikern, die in der Massey-Hall, Toronto, zum 70. Geburtstag der großen Songwriterin aufspielten. Und ein guter Song, dies sagte ihm Mitchell damals, muss beginnen mit einer einzigen wahren Zeile - alles andere ergibt sich von selbst.

Schließlich holt Glen Hansard sich doch einen Begleiter auf die Bühne, Rob Bochnik, Gitarrist bei seiner Band The Frames. Bochnik spielt zuerst Mandoline, wechselt später mit Hansard im Fluge die elektrische Gitarre, erkundet mit ihm neue Verbindungen von Lied und Lärm. Dann bittet Glen Hansard noch Ashley und Brandon Watson auf die Bühne - The Ocelots nennen sie sich, zwei junge Songwriter aus Wexford in Hansards Heimat Irland, die eben noch im Publikum saßen, nun die Bühne für sich haben.

Kann ein Konzert, bei dem fast jeder dritte Platz frei blieb, ein erfolgreiches Konzert gewesen sein? Diese Frage liegt zuletzt in einer Waagschale. In der anderen liegt Glen Hansard, der in Stuttgart als außergewöhnlicher Künstler in Erinnerung bleibt, der vom Beethovensaal der Liederhalle außerordentlich profitierte, der dort, obschon er diesen Saal nicht füllte, ein Konzert spielte, dass er auf keiner anderen Stuttgarter Bühne hätte spielen können.

Das New Fall Festival 2017: Acht weitere Konzerte präsentiert das New Fall-Festival noch bis Sonntag in Stuttgart. Freitag, 17. 11., spielt Olli Schulz in der Carl-Benz-Arena (22 Uhr); Die höchste Eisenbahn spielt im Mozart-Saal der Liederhalle ( 19 Uhr), Austra und Tune-Yards spielen in der Straßenbahnwelt (20 Uhr, 22 Uhr). Am Samstag, 18. 11., kommt Tom Odell in die Carl-Benz-Arena (20 Uhr), Little Dragon in den Mozart-Saal (20 Uhr), Anna Ternheim in das Neue Schloss (20 Uhr). In der Straßenbahnwelt geben sich am Samstag ab 20 Uhr Stuttgarter Pop-Musiker die Ehre, beim „Bawü-Abend“: Rikas, Fibel, JFR Moon und Levin Goes Lightly. Und am Sonntag, 19. 11., 20 Uhr, beschließt Michael Kiwanuka, Sänger des Retro-Soul, das Festival in der Carl-Benz-Arena.