Viel Arbeit, aber zu wenige Leute: Die Polizei klagt seit längerem über Überlastung. Foto: dpa

Ob Organisierte Kriminalität oder Terrorbedrohung, ob Verfolgung von Einbruchsdelikten oder Flüchtlingskrise: Die Deutsche Polizeigewerkschaft fordert Entlastung und mehr Personal.

- Herr Wendt, können Sie jungen Leuten gerade guten Gewissens raten, eine Ausbildung bei der Polizei zu machen?
Ich habe gerade mit meinem Neffen gesprochen, ein toller Bursche mit 20 Jahren. Der hat sein Abitur gemacht und sich nun bei der Polizei beworben. Ich habe ihm ausdrücklich dazu geraten. Warum fragen Sie?
Nun ja, das Image der Polizei ist derzeit ziemlich beschädigt.
Die Polizei ist in der Tat in den vergangenen Jahren stark beschnitten worden, sowohl personell als auch durch Einkommensverluste. Parallel sind immer mehr Aufgaben hinzugekommen. Alle Parteien haben es an der notwendigen Wertschätzung der Polizei vermissen lassen. Aber es ist nach wie vor für viele junge Menschen ein Traumberuf, und wir brauchen engagierte junge Leute, die bereit sind, einen Dienst an der Gesellschaft zum Beruf zu machen.
Immer wieder gibt es nicht nur Kritik am fehlenden Personal, sondern auch an schlechter Materialausrüstung. Was ist da in den vergangenen Jahren schiefgelaufen?
Nach der Wiedervereinigung und dem Ende des Ost-West-Konflikts haben deutsche Politiker geglaubt, jetzt kämen nur noch friedliche Zeiten. Also wurde bei der Polizei, aber auch in anderen Bereichen der öffentlichen Verwaltung gespart. Die Folge ist, dass die öffentlichen Strukturen nicht mehr belastbar sind und der Staat nicht mehr handlungsunfähig ist.
Ein gefährlicher Trend. Was muss geschehen?
Wir benötigen für den öffentlichen Dienst eine Einstellungsoffensive. Allein bei der Polizei brauchen wir mindestens 20 000 weitere Beschäftigte. Aber wir brauchen auch mindestens 2000 zusätzliche Richter und Staatsanwälte. Genauso wie mehr Sozialarbeiter, wie mehr Beschäftigte in den Ordnungsämtern, wie mehr Lehrer. Das war alles zuletzt auf Kante genäht, und alle haben immer gewarnt: Jetzt darf nichts mehr passieren. Nur, jetzt ist es passiert, zum Beispiel durch den Schutz von Flüchtlingseinrichtungen und von Demonstrationen.
Die Bürger scheinen zunehmend weniger Vertrauen in den Staat zu haben. Der Ruf nach Bürgerwehren wird lauter, selbst Rockerbanden haben jetzt schon ihre Hilfe angeboten, um Bürger zu schützen.
Die Bürgerwehren sind ein gefährlicher Trend, weil man nicht genau weiß, wer sich da organisiert. Ich halte das gesellschaftspolitisch für eine verhängnisvolle Entwicklung, weil der Gesellschaftsvertrag zwischen Staat und Bürgern praktisch einseitig vom Staat aufgekündigt worden ist. Der Vertrag sah bisher vor, dass das Gewaltmonopol beim Staat liegt, dass er im Umkehrschluss aber die Bürger schützt. Das ist immer weniger der Fall, und so wollen die Menschen ihr Recht in die eigene Hand nehmen. Irgendwann gilt dann nur noch das Recht des Stärkeren. Und das nutzen Extremisten, die scheinbar für Ordnung sorgen.
Und es senkt den Respekt vor der Polizei?
Aber natürlich. Wenn die Polizei permanent durch öffentliche Äußerungen diskreditiert wird und man sie zusammenspart, darf man sich nicht wundern, wenn Polizisten angespuckt, angegriffen, beleidigt und verletzt werden. Ich sage Ihnen mal ein Beispiel: Wenn die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, Claudia Roth, an Blockaden gegen die Polizei teilnimmt, ist doch klar, dass die Leute den Anweisungen der Polizei nicht mehr Folge leisten wollen.
Was sagen Sie Ihren Leuten bei Übergriffen?
Sie sollen, wenn möglich, ruhig bleiben und rechtsstaatlich handeln, also Anzeige nach dem Einsatz erstatten. Unser Problem ist aber, dass wir nicht nur von der Politik, sondern auch von der Justiz im Stich gelassen werden. Es kann doch nicht sein, dass wir Leute wie in Köln, Stuttgart und anderswo dreimal am Tag festnehmen und die Justiz sie schneller laufen lässt, als dass wir die Papiere fertiggestellt haben. Da verliert man das Vertrauen in den Rechtsstaat.
Wie sehen Sie vor diesem Hintergrund die Debatte um eine Kennzeichnungspflicht, wie sie die Grünen in Baden-Württemberg für Polizisten gerne hätten.
Die Grünen haben mit diesem Thema schon vor Jahren eine bundespolitische Albernheit eingeleitet und rennen unbeirrt diesem Ziel hinterher. Wir als Polizei haben mit Rockerkriminalität, organisierter Kriminalität, mit der Bedrohung durch Terrorismus und den neuen Phänomenen im Zuge des Flüchtlingszustroms zu kämpfen, und die Grünen haben nichts Besseres zu tun, als eine Kennzeichnungspflicht einführen zu wollen. Daran sieht man eben auch, dass die politische Klasse auch in ihrer Intellektualität nachgelassen hat. Wer so etwas jetzt fordert, hat nicht mehr alle Latten am Zaun.
Die Aufgaben für die Polizei dürften in naher Zukunft nicht weniger werden. Sehen Sie irgendwo eine Chance auf Entlastung?
Ja, durchaus.
Nämlich.
Wir haben seit 20 Jahren dafür geworben, dass die Polizei nicht mehr Schwertransporte begleiten muss, das sind immerhin bis zu 500 000 Fahrten pro Jahr, was viel Personal bindet. Im September vergangenen Jahres habe ich das nochmals vor der Unionsfraktion im Bundestag deutlich gemacht. Die Kanzlerin hat damals angekündigt, sie wolle sich der Sache annehmen.
Und nun?
Sie hat Wort gehalten. Vor wenigen Tagen war ich im Bundesverkehrsministerium in Berlin. Ab sofort dürfen die Bundesländer auf gesicherter rechtlicher Grundlage – nämlich durch eine Änderung der Verwaltungsvorschrift in Paragraf 29 der Straßenverkehrsordnung – sogenannte Verwaltungshelfer damit beauftragen, diese Begleitfahrten zu übernehmen. Das können private Firmen sein, die Polizei muss es nicht mehr machen. Die Länder müssen es nun nur noch umsetzen. Und wir werden noch über weitere Entlastungsmöglichkeiten sprechen, zum Beispiel den Verzicht auf rund 100 000 Blutproben nach Trunkenheitsfahrten. Dazu reicht künftig ein einfacher Atemalkoholtest, der gerichtsfest ist und bis sechs Promille gilt. Dieser Test spart viel Zeit und Ressourcen. Der Verkehrsgerichtstag wird Ende des Monats in Goslar darüber beraten, und auch dann hoffen wir, dass der Verkehrsminister das rasch entscheidet. Notfalls bemühen wir nochmals Angela Merkel.