SPD-Chef Martin Schulz und DGB-Vorsitzender Reiner Hoffmann (von links) beim gemeinsamen Auftritt im Willy-Brandt-Haus – dahinter die führenden Vertreter der wichtigen Einzelgewerkschaften. Foto: dpa

Die Gewerkschaften drängen die SPD zu Koalitionsverhandlungen mit der Union – obwohl der baden-württembergische IG-Metall-Bezirksleiter Roman Zitzelsberger meint, dass die Sondierungen „nicht den großen Wurf“ gebracht hätten.

Stuttgart - In der SPD bilden die Gewerkschaften derzeit das Gegengewicht zu den Jusos. Sie halten eine große Koalition für die beste der aktuell denkbaren Alternativen. Aus Arbeitnehmersicht sprechen einige Punkte des Sondierungspapiers für eine Groko, wie Baden-Württembergs Bezirksleiter Roman Zitzelsberger meint – vor allem die Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent, die Rückkehr zur paritätisch finanzierten Krankenversicherung und der befristete Wechsel von der Vollzeit in die Teilzeit. „Das geht in die richtige Richtung“, sagte er unserer Zeitung.

„Allerdings fehlen uns noch viele Dinge, wenn man etwa an die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen denkt“, ergänzt der Bezirkschef. Zudem vermisst er Vorschläge, wie die Digitalisierung mit Arbeitsplatzsicherheit verbunden werden kann. Man könne noch versuchen, Anliegen auszuhandeln, doch ist er skeptisch, ob dies gelingt. „Möglicherweise zahlt man einen hohen Preis, den die anderen Verhandlungspartner dann einfordern.“ Daher sei das Papier „insgesamt nicht der große Wurf“. Schon in der vorigen Legislaturperiode habe es im Kern die Kritik gegeben, dass die Koalition eine Politik des Minimalkonsenses und der kleinen Schritte betreibt. „Da braucht es mehr Mut“, fordert Zitzelsberger, der dem SPD-Landesvorstand als Beisitzer angehört. Unterm Strich wäre eine Neuauflage die „vernünftigste Lösung“. Das geplante Jamaika-Bündnis habe aus Arbeitnehmersicht bei weitem nicht solche Zwischenstände gebracht wie die Gespräche von Union und SPD. „Und so lange zu wählen, bis es den Politikern passt, davon kann man nur dringend abraten.“

DGB-Chef stellt sich hinter Schulz

Zuvor hatte der Gewerkschaftsbund mit seinen acht Töchtern für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen geworben. DGB-Vorsitzender Reiner Hoffmann erkannte „viel Substanz für die Arbeitnehmer“ in dem Sondierungspapier und würdigte auch die erkennbaren Fortschritte bei Mitbestimmung und Tarifbindung, wenngleich es noch „eine Menge Luft zur Konkretisierung“ gebe. SPD-Chef Martin Schulz versprach, die Befristungsproblematik in den von ihm erhofften Koalitionsgesprächen erneut aufzurufen. Parteiführung und Arbeitnehmervertreter sind über den Gewerkschaftsrat eng verbunden.

Als sehr starker Befürworter zeigt sich der Chef der IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), Michael Vassiliadis – quasi die personifizierte große Koalition. Er lobt vor allem, dass sich die Sondierer dem von der IG BCE geforderten Realismus in der Industrie- und Energiepolitik angenähert hätten. Mit anderen Worten: die angedachten Investitionen sollen gerade in den von ihm vertretenen Branchen Jobs sichern.

„Abgestumpfheit gegenüber der Politik“

Offen ist, ob der Rückhalt des DGB für die SPD die politische Debatte im Arbeitnehmerlager beeinflusst. Bei der Bundestagswahl hatten sich dort immerhin 15 Prozent für die AfD ausgesprochen. Und der Riss, der durch die SPD geht, ist auch an der Basis der Gewerkschaft erkennbar – obgleich Zitzelsberger meint, dass dort die Tarifrunde momentan wichtiger sei. „Das Hin und Her der letzten Monate hat zu einer gewissen Abgestumpfheit gegenüber der Politik geführt.“ Den Beschäftigten fehle es am Glauben, dass es voran gehe. Dieser Vorwurf würde vor allem die FDP und die Kanzlerin mit ihrer „ewigen Aussitzerei“ treffen – aber auch die SPD, deren Chef eine Groko gleich nach der Wahl noch strikt ausgeschlossen hatte. „Solche Dinge stärken nicht das Vertrauen in die Politik“, mahnt der Bezirksleiter. „Da müssen sich alle an die eigene Nase fassen.“