Die Polizei war und ist jeweils massiv gefordert – ob bei der Aufnahme der Flüchtlinge (wie hier am Münchner Hauptbahnhof), beim Schutz der Unterkünfte oder dem Schlichten von Konflikten Foto: dpa

Rüdiger Seidenspinner ist bekannt, Klartext zu reden. Nun meldet sich der Chef der Polizeigewerkschaft zum Thema Flüchtlinge. Seine Botschaft: Die Politik müsse ehrlicher sein. „Man sollte der Bevölkerung nichts vormachen, da kommen nicht nur liebe Menschen zu uns ins Land und bitten um Asyl.“

Stuttgart - Schlägerei zwischen Syrern mit einer Aluminiumstange in der Landeserstaufnahmestelle Ellwangen – die Bilanz: mehrere Verletzte. Ein anderes Beispiel: Streit um die Benutzung von Duschräumen in einer Flüchtlingsunterkunft in Donaueschingen, beteiligt 150 Asylbewerber – die Bilanz: 19 Streifenwagen mit Beamten im Einsatz, mehrere Flüchtlinge festgenommen. Und noch ein Beispiel: Brand in einer Asylunterkunft in Rottenburg am Neckar – die Bilanz: Großeinsatz für die Feuerwehr, sechs Verletzte, einige Bewohner können sich nur mit einem Sprung aus dem Fenster vor dem Tod retten.

Entsetzen vor Ort ist groß

Drei Vorfälle innerhalb der vergangenen zwei Tage. Das Entsetzen vor Ort ist groß. Für die Polizei sind solche Übergriffe inzwischen aber leidvoller Alltag geworden, die Zahl der Attacken gegen Asylbewerber nimmt zu. Erst am Wochenende hatten noch Unbekannte eine Rauchbombe in den Hof einer Flüchtlingsunterkunft in Neckargemünd (Rhein-Neckar-Kreis) geworfen.

Die Polizei war und ist jeweils massiv gefordert – ob bei der Aufnahme der Flüchtlinge, beim Schutz der Unterkünfte oder dem Schlichten von Konflikten. Schon wird darüber nachgedacht, die Landeserstaufnahmestellen per Video überwachen zu lassen, um Konflikte und deren Verursacher schneller zu erkennen. Ziel sei es, die Menschen in den Einrichtungen zu schützen. Fakt ist: In voll belegten Flüchtlingsunterkünften, in denen die Menschen lange auf die Registrierung und auf ihren Asylantrag warten müssten, ist die Lage sehr angespannt.

Das bestätigt Rüdiger Seidenspinner, Landeschef bei der Gewerkschaft der Polizei: „Die Belastung unserer Leute ist im oberen Level angekommen.“ Viele Beamte würden „von Dienst zu Dienst gejagt“, es gebe „kaum noch Luft zum Atmen“. Durch den Dauereinsatz und den anhaltenden Zustrom von Flüchtlingen nach Baden-Württemberg habe man in den letzten Wochen bereits „Hunderte von Überstunden“ angesammelt. Und ein Ende ist angesichts der Prognosen über die weiteren Zugangszahlen nicht in Sicht.

Kurzfristig kommen 600 Flüchtlinge aus Bayern

Seidenspinner vergleicht das Arbeitsaufkommen bereits mit Großereignissen wie Papst-Besuch und Nato-Gipfel. Der feine Unterschied: Da war der Einsatz zeitlich begrenzt und überschaubar, das ist beim Thema Flüchtlinge längst nicht mehr der Fall. Erst am Montag hatte Ministerpräsident Winfried Kretschmann den Vertretern der Landkreise und Kommunen klar gemacht, dass sie mit einem verstärkten Zustrom an Asylbewerbern rechnen müssen. Bester Beleg: Am Montagabend dieser Woche hat Baden-Württemberg kurzfristig 600 Flüchtlinge aus Bayern aufgenommen und sie auf Unterkünfte in Sigmaringen, Freiburg, Heidelberg und Sasbachwalden verteilt.

Doch die Kommunen wissen allmählich nicht mehr wohin mit den Fremden. Wo Gemeinderäte heute noch den Bau einer Unterkunft mit 80 Plätzen beschließen, müssen sie morgen die Voraussetzungen schaffen, um 300 Flüchtlinge unterzubringen. Roger Kehle, Präsident des baden-württembergischen Gemeindetags, sieht es ganz nüchtern: „Wir haben doch jetzt schon große Probleme, Wohnraum bereitzustellen. Wenn die Zugangszahlen weiter steigen, werden unsere Probleme noch größer, denn wir brauchen ja Quartiere, wenn die Leute aus der Erstaufnahmestelle in die Anschlussunterbringung verteilt werden.“ Diese Entwicklung stelle alle kommunalen Beteiligten „vor riesige Herausforderungen“.

Daran kann auch die vom Land eingerichtete zentrale Stabstelle für Flüchtlingsfragen nur bedingt etwas ändern. Zwar laufen hier unter der Regie von Landesbranddirektor Hermann Schröder alle Fäden in Sachen Verteilung der Flüchtlinge zusammen, den Zustrom und die Arbeitsbelastung kann aber auch dort niemand stoppen.

„Belastung der Polizei darf kein Dauerzustand werden“

Vor diesem Hintergrund fordert Seidenspinner mehr Ehrlichkeit von der Politik. „Man sollte der Bevölkerung nichts vormachen, da kommen nicht nur liebe Menschen zu uns ins Land und bitten um Asyl.“ Umso wichtiger sei es, die Asylverfahren zu verkürzen und Flüchtlinge, deren Antrag abgelehnt wurde, alsbald wieder in ihre Heimat zu schicken. Aber genau das, sagt er, ist keineswegs leicht. Den Polizeibeamten gehe es durchaus „unter die Haut, wenn man am frühen Morgen eine Familie mit Kindern abschieben muss“. Alle Beteuerungen der Politik, Deutschland habe ein offenes Herz für die Fremden, seien deshalb nur bedingt richtig.

Aus Sicht von Seidenspinner darf die Belastung der Polizei nicht zum Dauerzustand werden. „Wir haben keine Friede-Freude-Eierkuchen-Situation.“ Die Politik müsse den Menschen mehr denn je klar machen, dass die Polizei angesichts der Herausforderungen beim Thema Flüchtlinge andere Aufgaben derzeit nicht leisten könne. „Man muss in solchen Phasen bestimmte Dinge auch mal zurückfahren, vielleicht nicht zu jedem Einsatz in andere Bundesländer fahren, sondern hier die Kräfte bündeln.“