„Bitte zurückbleiben!“ Wenn die S-Bahn die Türen schließt, gibt es immer wieder mal Ärger Foto: Kraufmann

So ein Ärger: Da rennt man auf den Bahnsteig, doch vor der Nase schließen sich die Türen der S-Bahn. Ein Unbekannter wird daraufhin rabiat. Der Umgang im Nahverkehr von Stuttgart wird rauer.

Stuttgart - Piepsend fallen die Türen zu, und jeder Versuch, sie mit dem Türknopf wieder zu öffnen, scheitert. Ein etwa 20 bis 30 Jahre alter Mann steht auf dem Bahnsteig des S-Bahn-Halts Sommerrain, unmittelbar an der vordersten Tür eines Zugs der Linie S 3. Er muss draußen bleiben. Nebenan schaut der Lokführer aus dem Fenster, ein Kontrollblick vor der Abfahrt. Der verhinderte Fahrgast fordert den Fahrer auf, die Tür noch mal zu öffnen. Doch der Bahn-Mitarbeiter verneint. Und erhält eine klatschende Ohrfeige.

Eine Szene, zu der die Bundespolizei jetzt Zeugen sucht. Der Vorfall spielte sich am Donnerstag um 11.35 Uhr im Cannstatter Stadtteil Sommerrain ab, die Bahn kam aus Backnang und war auf dem Weg Richtung Flughafen. „Der Geschädigte klagte über Kopfschmerzen und musste den Dienst abbrechen“, sagt Janna Küntzle, Sprecherin der Bundespolizei. Die Ermittler bitten über Telefon 07 11 / 8 70 35 - 200 um Hinweise.

Der Lokführer lässt sich ablösen

Für die Fahrgäste in der S-Bahn halten sich die Folgen des Vorfalls in Grenzen. Der Triebfahrzeugführer fährt noch drei Stationen weiter und lässt sich dann planmäßig an der Haltestelle Hauptbahnhof ablösen. Danach aber beendet er seine Schicht. Von dem Angreifer fehlt freilich jede Spur. Er soll etwa 1,70 bis 1,75 Meter groß und schlank sein, schwarze kurze Haare haben. Offenbar ein südländischer Typ, der eine schwarze Lederjacke und eine dunkle Sonnenbrille trug. Die Bundespolizei ermittelt wegen des Verdachts der Körperverletzung.

Freilich: So mancher Fahrgast kann die Beweggründe des Rowdys nachvollziehen. Immer wieder kommt es zu solchen Szenen, bei denen Fahrgäste zurückbleiben. „Irgendwann muss man einfach die Türen schließen“, sagt ein Bahn-Sprecher. Denn die Lokführer stehen unter Zeitdruck: „Es geht um Sekunden.“

Tür auf, Tür zu – eine Frage der Zeit

Sekunden? „Wenn man den allerallerallerletzten herbeirennenden Fahrgast auch noch reinlässt, vergehen fünf, zehn, 20 Sekunden – und das summiert sich leicht zu Minuten“, so der Bahn-Sprecher. Gleiches gilt für den Fall, wenn Fahrgäste in der Lichtschranke stehen und die Türautomatik wiederholt auslösen. Solche Verzögerungen wirken sich in einem Netz, in dem in Spitzenzeiten bis zu 48 S-Bahnen gleichzeitig unterwegs sind, folgenschwer aus. Schließlich müsse sich die Bahn in den eng getakteten Innenstadt-Tunnel einfädeln – und da drohten weitere Verzögerungen, wenn andere vorausfahrende Züge auf der sogenannten Stammstrecke die Haltestellen blockieren. „Und dann“, so der Sprecher, „hat eine Bahn plötzlich mehrere Minuten Verspätung.“

Doch irgendwie scheinen offenbar die Nerven blank zu liegen. Zumindest häufen sich die Gewaltdelikte. Nicht nur bei der Bahn AG, auch im Bereich der Stuttgarter Straßenbahnen (SSB). Da werden Kontrolleure angegriffen, werden Busfahrer bespuckt und geschlagen, Fahrgäste angepöbelt und bedroht.

Zwischenfall am Stadtbahn-Halt Schlossplatz

So gab es am Donnerstag gegen 22.30 Uhr in der unterirdischen Stadtbahn-Haltestelle Schlossplatz einen Zwischenfall, bei dem die Polizei alle Hände voll zu tun hatte. Passanten hatten über Notruf gemeldet, dass da ein Mann mit einer Eisenkette um sich schlägt, auf Gegenstände eintritt, Passanten bespuckt. Ein 34-Jähriger wurde festgenommen, der auch die Polizei aggressiv anging und massiv beleidigte. Der offenbar psychisch auffällige Mann wurde von einem Arzt untersucht und kam bis Freitag um 5 Uhr in Gewahrsam. Danach wurde er wieder auf freien Fuß gesetzt.

In der Psychiatrie landete dagegen ein 31-Jähriger, der am Dienstag im Bahnhof Untertürkheim Passanten anpöbelte und einem zwölfjährigen Jungen offenbar ins Gesicht spuckte. Warum aber auch zunehmend Fahrpersonal angegriffen wird, dafür haben die Experten bisher keine Erklärung.

Angriffe auf Busfahrer und Bahnpersonal

Gewaltdelikte auf Busfahrer und Bahnpersonal sind nicht selten. Beispiele aus unserer Kriminaldatenbank 2015:

1. Dezember, S-Bahn S 5 : 1. Dezember, S-Bahn S 5: Ein Lokführer, der eine Auseinandersetzung schlichten will, wird am Bahnhof Ludwigsburg von einem pöbelnden Fahrgast angegriffen. Der 34-jährige Täter hat drei Promille.

6. November, Bus 42: 6. November, Bus 42: Ein Unbekannter regt sich auf, dass der Busfahrer eine Frau an der Haltestelle Libanonstraße im Stuttgarter Osten nicht mehr einsteigen ließ. Er beschimpft und bespuckt den Fahrer.

26. Oktober, Bus 42: Zwei Kontrolleure werden am Ostendplatz in Stuttgart-Ost von einem 20-jährigen Schwarzfahrer angegriffen. Der Wohnsitzlose beißt zu und trägt ein Messer am Gürtel. Er kommt in Untersuchungshaft.

25. August, Stadtbahn U 6: Ein 31-jähriger Schwarzfahrer randaliert am Rohrer Weg in Möhringen. Zwei Kontrolleure und eine Polizistin werden leicht verletzt.

30. Juni, S-Bahn S 1: Ein 23-Jähriger greift in Mettingen (Kreis Esslingen) eine Kontrolleurin und zwei DB-Wachleute an.

27. Juni, Regionalexpress: Eine 68-Jährige will am Hauptbahnhof nicht einsehen, dass ihr Fahrrad nicht in den Zug darf. Die Schaffnerin wird leicht verletzt.

21. Juni, S-Bahn S 1: Eine vierköpfige Mädchengruppe, 15 bis 17 Jahre alt, randaliert im Zug. Als die 33-jährige Lokführerin die Mädchen am Bahnhof Bad Cannstatt zur Rede stellt, wird sie geschlagen und getreten.