Beste Stimmung, aber manchmal knallt’s auf dem Volksfest Foto: dpa

Das Landgericht hat in einem höchst ungewöhnlichen Fall einen Mann wegen Körperverletzung verurteilt. Er hatte einen Ordner auf dem Stuttgarter Volksfest gewürgt.

Stuttgart - „So eine schräge Situation hatte ich noch nie“, sagt Strafverteidiger Max Klinger. Der Anwalt vertritt einen 45-jährigen Mann, der sich vor der 1. Strafkammer des Landgerichts wegen versuchten Totschlags verantworten muss. Schräg ist die Situation, weil Klinger eine Verurteilung seines Mandanten beantragt, obwohl Oberstaatsanwalt Karl-Heinz Engstler auf Freispruch plädiert.

Um diese groteske Entwicklung verstehen zu können, muss man tief in den Fall eintauchen. Am 5. Oktober 2013 geht der Angeklagte allein aufs Volksfest. Er landet in einem Bierzelt, will in eine Loge, die man nur betreten kann, wenn man reserviert hat – er wird von den Ordnern abgewiesen. Weil ihn das ärgert, fuchtelt er mit seinem Bierkrug herum, die Sicherheitsleute bugsieren ihn vor das Zelt.

Dort wird der Chef der Ordner aufmerksam. Der alkoholisierte Angeklagte will mit dem Sicherheitschef boxen, dieser lehnt dankend ab. Der Sicherheitsmann trägt ein Kreuz an einem Lederriemen um den Hals. Der Angeklagte nennt den Ordnerchef einen Bastard und greift nach dem Kreuz. Er meint, nur Priester dürften ein solches Kreuz sichtbar tragen, ein Bierzeltordner dagegen nicht. Er dreht an dem Kreuz und drückt seine Faust gegen den Kehlkopf des Opfers, das schnell unter Atemnot steht und droht, bewusstlos zu werden. Die anderen Ordner überwältigen den 45-Jährigen. Er wird von der Polizei auf die Wasenwache gebracht, wo er einen Beamten schlägt.

Bei der ersten Aussage des Angeklagten gibt es nichts Auffälliges. Als ihn jedoch später die psychiatrische Gutachterin befragt, erzählt er plötzlich, er sei sehr religiös, er sei fremdgesteuert auf dem Wasen gelandet und habe den Auftrag gehabt, die Männer in dem Bierzelt vor Prostituierten zu schützen. Außerdem sehe er manchmal Leichen und Heilige und er höre Stimmen. Die Gutachterin bescheinigt ihm eine paranoide Schizophrenie mit religiösem Wahn. Spätestens jetzt schrillen bei Verteidiger Max Klinger die Alarmglocken.

Der Angeklagte ist Lkw-Fahrer mit Leib und Seele, er chauffiert Container mit zum Teil mehr als 40 Tonnen. Sein Chef lobt ihn in den höchsten Tönen und hält dem Mann den Job frei.

Im Prozess berichtet der Spätaussiedler, der seit zwölf Jahren in Deutschland, zuletzt in Weilimdorf, lebt, nichts mehr von religiösen Wahnvorstellungen. Auch in der Vergangenheit war er in dieser Hinsicht nicht auffällig geworden.

Der Oberstaatsanwalt plädiert auf nicht schuldfähig und dementsprechend auf Freispruch. Jetzt hat Verteidiger Klinger ein Problem. Wird sein Mandant wegen einer psychischen Erkrankung freigesprochen, könnte man ihm die Fahrerlaubnis entziehen. Dann wäre es vorbei mit dem erfolgreichen Berufsleben des Mannes. Klinger beantragt also, sein Mandant möge verurteilt werden – zu einer Bewährungsstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung.

Und so kommt es. Die Richterinnen und Richter nehmen dem Kraftfahrer den religiösen Wahn nicht ab. „Eine Schutzbehauptung“, so die Vorsitzende Richterin. Allerdings könne man dem Angeklagten nicht nachweisen, dass er mit dem Tod des Opfers gerechnet habe, also nur Körperverletzung. Das Urteil: 21 Monate auf Bewährung.