Stress ist oft hausgemacht, weiß Marc Schuh. Wie Spitzensportler lernen, mit Leistungssituationen umzugehen, kann in der Arbeitswelt helfen. Foto: privat

In einer alternden Gesellschaft wird Gesundheitsmanagement immer wichtiger. Dabei können Unternehmen auch von der Sportpsychologie lernen.

Seine Karriere lief beeindruckend: mehrfach Juniorenvizeweltmeister, Erwachsenenweltmeister über 400 Meter, Weltranglistenerster. Im Paralympischen Jahr 2012 indes holperte sie. 'Wenn man drei Jahre in Folge der schnellste 400-Meter-Sprinter der Welt und der erste und einzige Europäer ist, der jemals unter 46 Sekunden gekommen ist, schmerzt es sehr, wenn man sich den Finallauf ab 200 Meter von hinten anschauen muss', sagt der Rennrollstuhlsprinter Marc Schuh. Doch der 24-jährige Physikstudent ließ den Stress außen vor, bewies starke Nerven, gewann 2013 bei den Weltmeisterschaften Silber und Bronze. Stress bezeichnet die Weltgesundheitsorganisation als eine der größten Gesundheitsrisiken des 21. Jahrhunderts.

Und eine Befragung zur Stresslage der Nation des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag der Techniker Krankenkasse (TK) von 2013 zeigte, dass durchschnittlich 53 Prozent der Menschen in Deutschland ab 18 bis über 66 Jahren ihr Leben der vergangenen drei Jahre als zunehmend stressiger empfinden. Unter den 18- bis 25-Jährigen sind es gar 93 Prozent. Einer der Hauptgründe: der Beruf. Jeder vierte Baden-Württemberger fühlt sich dadurch häufig gestresst, im Bundesdurchschnitt jeder fünfte. Stress ist per se nichts Negatives. Er befähigt - biologisch gesehen - zu Höchstleistungen, macht kreativer. Wird er indes belastend als 'Distress' empfunden, kann er krank machen.

Alle geben Gesundheitsreports zum Thema in Auftrag

'Die Zahlen des Krankheitsbilds Depression, landläufig Burn-out genannt, steigen', so TK-Vorstandsmitglied Frank Storsberg. 'Aber das ist keine Erfin dung dieses Jahrtausends, sie ist nur gesellschaftsfähig geworden.' Er sieht daher die Krankenkassen als Berater und Mittler, um Unternehmen beim Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM) zu unterstützen. Ob TK, DAK, mhplus, Süddeutsche Krankenversicherung oder AOK, sie alle geben Gesundheitsreports zum Thema in Auftrag oder zitieren die Zahlen des Stressreports der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Danach verharrt der Ar- beitsstress auf hohem Niveau - durch Termin- und Leistungsdruck.

Höhere Handlungsspielräume und Verantwortung brächten auch höhere Belastung und Überforderung. 'Die Arbeitswelt verändert sich durch die Digitalisierung, Stichwort Arbeitsverdichtung. Zum gesellschaftlichen Wandel gehört, dass wir Kranke nicht mehr als Kostenfaktor, sondern Gesundheit als Erfolgsfaktor sehen', so Storsberg. 'Daher haben wir das Forum ,Gesunde Wirtschaft?, eine Reihe zur modernen Arbeitswelt, initiiert.' Marc Schuh war beim Thema 'Trainierter Kopf - gesund im Job' zu Gast, wo diskutiert wurde, was Unternehmen von der Sportpsychologie für ihr Betriebliches Gesundheitsmanagement lernen können. 'Stress entsteht für mich nur dann, wenn ich keinen Plan B habe, sollte was schiefgehen', so Schuh. Nicht nur die Rennstrecke, sondern alle Eventualitäten müssten vorher durchgegangen werden.

'Das mache ich mit meinem Sportpsychologen, so dass ich in nahezu jeder Situation eine passende Lösung parat habe.' Dieser helfe auch, wenn er übermotiviert, der Stress hausgemacht sei. 'Da stehst du dir selbst im Weg. Es hilft, wenn einer sagst, vergiss die Ziele, hab beim Rennen einfach Spaß.' Dass Stress oft im eigenen Kopf entsteht, bestätigt der Sportpsychologe Michael Zimmer. Er erlebe es immer wieder, wie sich dadurch Arbeitnehmer aus Angst, erhöhten Ansprüchen und unrealistischen Zielen oft selbst noch mehr unter Druck setzten. 'Stress entsteht, wenn man sich keine Phasen der Ruhe erlaubt', so Zimmer. 'Es muss einen Rhythmus von Entspannung und Anspannung geben.' Hier seien nicht nur die Arbeitgeber und deren BGM gefragt, sondern auch die Eigenverantwortung der Mitarbeiter. Dabei könne Sportpsychologie helfen - mit Methoden wie mentales Training, Übungen in Selbstsicherheit oder Selbstgesprächsregulation.

"Wichtig ist, die Fähigkeit zur Regeneration zu lernen und zu nutzen"

Bei Letzterem lernen Sportler sich im Selbstgespräch mit positiven Gedanken zu motivieren und die Bewegungen des Körpers zu optimieren sowie das Selbstvertrauen zu stärken. Bedeutet das, übertragen auf Mitarbeiter, schneller, höher, weiter? 'Nein', betont Zimmer. 'Es geht darum zu untersuchen, wie jeder Einzelne Leistungssituationen erlebt, sich darin verhält und auf diese Weise seine eigenen Grenzen kennenlernt.' Nur wer diese kenne, könne etwa einem Burn-out vorbeugen, weil er rechtzeitig die Bremse ziehe. 'Wichtig ist, die Fähigkeit zur Regeneration zu lernen und zu nutzen.' Das sieht Kai Großmann, Leiter des Gesundheitsmanagements bei Porsche, ähnlich.

Es gehe darum, bei Führungskräften und Mitarbeitern ein Bewusstsein für eine gesunde Stressbalance zu wecken und ein entsprechendes Klima im Unternehmen zu schaffen. Dazu gehöre weit mehr als ergonomische Möbel, gesundes Essen oder Massage-, Fitness- und Sportangebote. 'Man muss Mitarbeiter befragen, Workshops veranstalten, in denen sie sich auf neutralem Boden äußern können, und Führungskräfte schulen, damit sie sensibilisiert sind für die Menschen in ihrem Team.' Wie wichtig Betriebliches Gesundheitsmanagement gerade in Zeiten des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels ist, haben nicht nur große Unternehmen wie Porsche, Bosch, Daimler oder Siemens erkannt. Erhöht doch BGM die Wettbewerbsfähigkeit.

Nach einer Studie des KCS Kompetenz Centrums für Statistik und Empirie an der FOM Hochschule fühlen sich Arbeitnehmer an Firmen signifikant stärker gebunden, wenn diese Gesundheitsmaßnahmen vorhalten. Das tun indes nach diversen Befragungen 60 Prozent der kleinen und mittleren Betriebe noch nicht - wegen des großen Verwaltungsaufwands und zu wenig innerbetrieblicher Ressourcen. Derzeit erreicht das BGM auf einer Skala von eins (kein Stellenwert) bis sieben (sehr hoher Stellenwert) den Wert 3,8 - Tendenz steigend.

Das ist in den ersten Resultaten der 'Trendstudie Betriebliches Gesundheitsmanagement', die im Mai veröffentlicht werden soll und auf Initiative des Spring Messe Managements von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin sowie der Humboldt-Universität Berlin durchgeführt wurde. Demnach hätten die befragten Unternehmen zunehmend die älteren Beschäftigten sowie eine altersgerechte Arbeitsplatzgestaltung im Fokus.