Menschen mit Behinderung wünschen sich, dass sich Klinik-Mitarbeiter für sie mehr Zeit nehmen. Foto: dpa

Erfahrungsberichte zeigen, dass die Bedürfnisse behinderter Patienten im Klinik-Alltag oft auf der Strecke bleiben. Das Thema Inklusion wird nun am Freitag auch im Krankenhausausschuss des Gemeinderats diskutiert.

Stuttgarter Norden - Hilflos, abhängig, ausgeliefert: So fühlt sich Sabina Leonie oft, wenn sie im Krankenhaus ist. Sie hat schon so viele schlechte Erfahrungen in einzelnen Hospitalen in Stuttgart gemacht, dass sie Angst hat, wieder ins Krankenhaus zu müssen. „Viele halten mich dort für geistig schwerbehindert. Wegen meines Aussehens und meiner Sprachbehinderung wird oft über mich, statt mit mir gesprochen“, erklärt Sabina Leonie. Mit ihr zu kommunizieren ist in der Tat nicht leicht, aber auch nicht unmöglich. Reden kann sie zwar nicht, aber mithilfe einer Symboltafel ist es ihr möglich, sich zu verständigen. „Viele im Krankenhaus können aber leider trotzdem nicht verstehen, was ich meine und haben auch keine Zeit dafür, sich länger damit auseinanderzusetzen“, sagt Leonie.

Das Gesundheitssystem ist selber nicht in Topform

Das Thema Zeit spielt in den Krankenhäusern immer wieder eine große Rolle, wenn es um die Wünsche der Patienten geht – egal, ob es sich um Menschen mit oder ohne Behinderung handelt. „Die Behandlung an sich ist in Ordnung, aber alles was drumherum passieren soll: Da wird es zeitlich sehr schwierig“, sagt der Krankenhausbürgermeister Werner Wölfle. „Ich muss leider allen die Illusion nehmen, dass wir jedem im Krankenhaus gerecht werden können.“ Das Gesundheitssystem kranke einfach an zu vielen Stellen. Das führe dazu, dass auch die wirtschaftliche Situation des Stuttgarter Klinikums mit dem Bürger-, Olga- und Katharinenhospital sowie mit dem Krankenhaus Bad Cannstatt schlecht sei. Das, so Wölfle, wirke sich dann natürlich auch auf die Personalsituation aus.

Am Freitag wird Albert J. Ebinger, der Geschäftsführer des Bhz (ehemals Behindertenzentrum) zu Gast im Krankenhausausschuss des Gemeinderats sein. Er wird über das Projekt „Patienten mit Behinderung im Krankenhaus“ berichten. Zwei Jahre lang haben Bhz und das Diakonie-Klinikum Stuttgart versucht, fundierte Erkenntnisse über die Situation von Menschen mit Behinderung im Krankenhaus zu gewinnen. Dazu wurden unter anderem 46 Patienten befragt. Rund die Hälfte der Menschen mit Behinderung war zufrieden mit dem Klinik-Aufenthalt.

Verständigung ist das A und O, aber nicht immer gegeben

Aber Menschen mit starkem Hilfebedarf wie Sabina Leonie bleiben meist mit ihren Anliegen und Bedürfnissen auf der Strecke – vor allem, wenn sie keine Verwandten haben, die sie ins Krankenhaus begleiten und sich um sie kümmern können. „Ich habe jedes Mal Angst, dass ich eine Magensonde bekomme. Ich will essen. Das Schmecken ist mir wichtig. Aber das Krankenhaus-Personal kann sich das schwer vorstellen“, sagt Leonie.

Ähnliche Erfahrungen hat auch schon Bernd S. gemacht. Der Feuerbacher sitzt im Rollstuhl. Er leidet an einer Spastik, nachdem er bei der Geburt zu wenig Sauerstoff bekommen hat. Sprechen kann er und auf den Mund gefallen ist er auch nicht. Er kann sagen, wenn ihm etwas nicht passt. Dennoch: „Je mehr du selber machen kannst, desto besser“, sagt Bernd S. „Manchmal hatte ich das Gefühl, dass man im Krankenhaus nicht weiß, was man mit mir anfangen soll.“ Schnell wurde er gewindelt, obwohl es nicht nötig war. „Da fühlt man sich schon komisch. Das war ich nicht gewohnt.“ Bernd S. würde sich wünschen, dass sich die Krankenhäuser besser auf Menschen mit Behinderung vorbereiten würden.

Partnerschaftsvereinbarung soll Verbesserungen schaffen

„Das versuchen wir“, sagt Schwester Beate Klessen vom Diakonie-Klinikum. „Der Tag ist zwar genau getaktet, aber wir stellen uns der Herausforderung.“ Die Mitarbeiter seien hoch motiviert und würden mehr Zeit investieren, als sie eigentlich zur Verfügung hätten. „Leider kann es derzeit nur so funktionieren.“ Das sehen auch der Geschäftsführer des Diakonie-Klinikums, Bernd Rühle, und Albert J. Ebinger so. Doch beide wollen künftig die Situation für Menschen mit Behinderung im Krankenhaus verbessern und haben deshalb vor kurzem eine Partnerschaftsvereinbarung unterzeichnet. „Ein inklusives Klinikum erfordert ein waches Bewusstsein und einen Mehreinsatz“, heißt es in der Vereinbarung. Begrenzt könne der zusätzliche, vor allem zeitliche Aufwand von beiden Einrichtungen auch gestemmt werden. „Ein wesentlicher, erhöhter Mehraufwand ist für beide Partner nach derzeitigem Finanzierungssystem aber nicht leistbar.“ Weder das Diakonie-Klinikum noch das Bhz können eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung gewährleisten.

Das ist auch im Robert-Bosch-Krankenhaus (RBK) so. Dennoch wird auch hier versucht, auf die Bedürfnisse von Patienten mit Behinderung einzugehen. Inklusion ist auch hier ein wichtiges Thema. „Seit 2012 kooperieren wir mit den Wohnstätten der Lebenshilfe“, sagt RBK-Sprecherin Johanna Flohr. „Insbesondere die Überleitung von den Wohnstätten in die Klinik wollten wir dadurch verbessern.“ Und das habe funktioniert.

Sozialbürgermeisterin Isabel Fezer ist der Meinung, dass sich Stuttgart beim Thema Inklusion nicht verstecken müsse. Doch es sei noch ein langer Weg bis zum Ziel: „Inklusion ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Es reicht nicht, wenn der Gemeinderat in seinen Haushaltsberatungen Geld zur Verfügung stellt.“ Auch die Barrieren in den Köpfen müssen weichen.